Produktionsplanung
Die Supply Chain resilienter machen
Zwei unerwartete Ereignisse haben vielen Unternehmen die Anfälligkeit ihrer Produktionslogistik aufgezeigt: die Corona-Krise und die Blockade des Schiffsverkehrs im Suez-Kanal. Beides hat deutlich gemacht, dass Unternehmen weg müssen von Excel-Lösungen und einzelnen Teilsystemen – hin zu einem integrierten und einheitlichen Planungssystem.
Die Herausforderungen, vor denen Unternehmen im Zuge des ersten Corona-Lockdowns standen, sind bekannt. Verkaufsprognosen mussten kurzfristig um 30 Prozent und mehr nach unten korrigiert werden, Werke wurden geschlossen, Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, Liefernetzwerke hatten erhebliche Synchronisationsprobleme und Betriebe mussten teilweise Notfallpläne starten. Im April dieses Jahres hatten dann durch den tagelangen Stau im Suez-Kanal nicht nur Automobil-Hersteller mit Teile-Engpässen zu kämpfen. Eine integrierte Lösung aus Sales & Operation Planning (S&OP) und Supply Chain Management hätte betroffenen Unternehmen erlaubt, schnell auf diese Einflüsse zu reagieren und sowohl das interne als auch externe Netzwerk umzuplanen. Darüber hinaus hätte eine solche Lösung wertvolle Erkenntnisse geliefert, welche Teile fehlen oder sich verspäten würden, und hätte Alternativen für die Produktionsplanung in Abhängigkeit der Teilebelieferung aufgezeigt.
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Integration statt Insellösung
Der Schlüssel für eine reibungslose Produktionslogistik liegt darin, Planung und Ausführung zu verknüpfen, um so die operative Abwicklung der Produktion genauso im Blick zu haben wie die mittel- und langfristige Planung. Der aktuelle Zustand an Beständen, an Verkäufen, an beplanter Logistik ist in diesem Ansatz immer der Ausgangspunkt für die Planung in die Zukunft. Stehen beispielsweise am Monatsende nach neuen Abverkäufen veränderte Bestandsinformationen zur Verfügung, dann aktualisiert die Lösung das Gesamtsystem sofort, damit dieser Zustand die Grundlage für die weitere Produktionsplanung bilden kann.
In diesem integrierten Ansatz werden nicht nur die Produktion oder die Logistik betrachtet, sondern der Gesamtprozess, bei dem ein Rädchen ins andere greifen muss: Der Vertrieb plant Verkaufsmengen und bestellt für eine ideale Marktversorgung bei der Produktion. Der Produktionsplaner erstellt den Plan für die Produktion der Primärprodukte und übergibt anschließend an Logistik, Einkauf und Disposition für die Beplanung des Liefernetzwerkes. An dieser Stelle muss die Logistik beispielsweise wissen, welchen Grad an Flexibilität das System benötigt, um das Liefernetzwerk inklusive des Transports optimal beplanen zu können.
Zum Schluss rundet eine kollaborative Entscheidungsfindung diesen Prozess ab. Dabei entscheiden die beteiligten Abteilungen oder Gewerke darüber, wo investiert werden muss – bei der Kapazität oder dem Vertrieb. Bei zu hohen Beständen kann eine Marketingkampagne den Verkauf anschieben. Das Ziel dieses Prozesses ist ein eingeschwungener S&OP-Plan. Den von allen beteiligten Abteilungen freigegebenen Plan begleitet ein striktes Controlling inklusive monetärer Bewertungen. Plan-Alternativen können so ausgewählt werden, dass die profitabelsten Pläne im System angezeigt werden und beispielsweise Investitionen abgesichert sind. Dabei identifiziert und visualisiert das S&OP-System Mismatches: wo sind Bedarfe und Kapazitäten nicht synchronisiert, wo passen sie nicht zusammen, wo gibt es einen zu großen Bestand, wo ist bei steigenden Bedarfen ein Engpass zu erwarten?
Planung in Szenarien
Wer eine solche Lösung in einem Unternehmen einrichten will, muss darin zunächst jegliche Produktstruktur abbilden, von Primärprodukten in allen Varianten bis zu den in Teilebedarfe aufgelösten Stücklisten, die in den eigenen Fabrikhallen gefertigt oder von Drittanbietern geliefert werden. Anschließend müssen unterschiedliche Netzwerke modelliert werden, wie die Vertriebsstruktur oder das Liefernetzwerk. Dies setzt an der untersten Ebene an, beim Retailpunkt, der beispielsweise ein Autohändler, ein Distributor oder ein Importeur oder eine ganze Länderorganisation sein kann. An allen Knotenpunkten der Hierarchien im Vertriebsnetzwerk erfolgen lokale Planungsschritte. Während der Händler nur den eigenen Abverkauf plant, achtet die Landesorganisation eines Unternehmens darauf, dass bei den Händlern komplementäre Produktmixe vorhanden sind und das ganze Land als Markt profitabel ist. Die hier abgelegten Informationen bilden die Grundlage für die Planung bzw. die Planungsobjekte. Für diese Objekte stellt die Software automatisch Schnittstellen bereit, um Daten einzulesen und zu exportieren. Zeitcharakteristiken lassen sich beliebig konfigurieren – bis zu 15 Jahre in die Zukunft und bis zu fünf Jahre in die Vergangenheit. Die Planung selbst kann in Tages-, Wochen-, Monats- oder eben Jahreszeitscheiben erfolgen.
Wenn alle Planungsstrukturen aufgesetzt sind, greifen automatisch die funktionalen Bausteine wie die Planungsparameter, eine Kapazitäts-Engine für das Abbilden der Restriktionen oder auch das Szenario-Management. Dafür lässt sich die für das Unternehmen angepasste Lösung beliebig oft duplizieren. Mit dieser Kopie spielt der Produktionsplaner unterschiedliche Szenarien durch, losgelöst vom Produktivbetrieb. Erst wenn er das beste Szenario gefunden hat, wird es für den Produktivbetrieb freigeschaltet. Diverse weitere Funktionen helfen dem Produktionsplaner dabei, Nachfrageschwankungen und damit sich verändernde Bedarfe und Kapazitäten auf allen Produktebenen, für alle Märkte und für alle Produktionsressourcen anzupassen, meist sogar automatisiert. So berechnet das „intelligente Bestellen“ auf Basis von Vertriebsbedarfen und Charakteristik der Lieferkette von den Werken bis zum Point of Sale, zu welchem Zeitpunkt idealerweise produziert werden sollte, damit die Produkte zum richtigen Zeitpunkt in den Märkten stehen.
Falls mehrere Werke ein Produkt herstellen können, hilft ein intelligenter Mechanismus dabei, die richtige Produktionslinie beziehungsweise das richtige Werk für die Produktion auszuwählen. Mithilfe von Parametern wie Auslastung und Versorgungssicherheit wählt der Produktionsplaner die Standorte beziehungsweise den Standort aus, wo die Bedarfe kapazitiv abgesichert sind. Arbeitszeitkalender und ein BI-Tool zur Analyse der Daten nach Produktions- und Vertriebs-charakteristik runden den Funktionsumfang ab. In der Produktionsprogrammplanung signalisiert eine Ampellogik, ob die Bedarfe, Bestände und Kapazitäten optimal ausbalanciert sind. Bei Nachfrageschwankungen zeigt das entsprechende Dashboard übersichtlich die sich verändernden Bedarfe und Kapazitäten auf allen Produktebenen an und ermittelt für alle Märkte und für alle Produktionsressourcen erforderliche Anpassungen.
Ein modernes integriertes S&OP-System führt alle relevanten Informationen zusammen und stellt sie auf verschiedenen Sichten so zusammen, dass sie die Entscheidungsfindung des Managements optimal unterstützen. Ein Unternehmen kann seine Profitabilität nur steigern, wenn keine Verkäufe verloren gehen und alle Optimierungs-Möglichkeiten aufgezeigt werden und somit keine Kapazitäten ungenutzt bleiben. Weil das System immer über alle aktuellen Informationen verfügt, ist eine schnelle Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen, eine Umplanung, jederzeit möglich. Mehr noch: Gerade in Ausnahmesituationen, wie den eingangs beschriebenen, ist ein solches System für die umfassende Analyse der veränderten Bedarfs- und Kapazitätssituationen von unschätzbarem Wert. Es hilft, Bedarfe und Kapazitäten auszubalancieren und die Planung sehr schnell anzupassen – zu jedem Zeitpunkt und an jeder wichtigen Stellschraube im Unternehmen.
Robin Hornung, Managing Director Flexis Consult / am