Interview mit Eric Verniaut, ProAlpha

Andrea Gillhuber,

Das digitale Rückgrat der Unternehmen

Die Corona-Krise wird der Digitalisierung Vorschub geben, ist sich Eric Verniaut, CEO von proAlpha, sicher. Im Gespräch mit Chefredakteurin Andrea Gillhuber sprach er über die Bedeutung von Transparenz in den Prozessen und warum ohne Partner heute nichts mehr geht.

Eric Verniaut ist seit Anfang 2020 CEO bei ProAlpha. Vor seinem Wechsel zum ERP-Spezialisten hatte er international unterschiedliche Führungspositionen inne, zuletzt bei Blue Prism in Großbritannien. Zuvor war er acht Jahre für SAP in verschiedenen leitenden Funktionen im Vertrieb und Consulting tätig, darunter Head of Innovation Sales und Executive Vice President EMEA Industry. © ProAlpha

ProAlpha ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Der steigende Digitalisierungsgrad der Unternehmen hat sicherlich dazu beigetragen. Wie hoch aber ist der Digitalisierungsgrad deutscher und europäischer Unternehmen im internationalen Vergleich?

Ein internationaler Vergleich ist schwierig, da wir auch in Regionen wie Nord- und Südamerika, Nord- und Südeuropa unterscheiden müssten. Bei der Digitalisierung der Produktionsautomatisierung dürfte Deutschland weltweit führend sein. Natürlich profitieren wir hier von den frühen Initiativen, die stark von den großen Fabrikautomatisierungsherstellern getragen wurde, aber auch von der Bundesregierung zusammen mit den Wirtschaftsverbänden Bitkom, VDMA und ZVEI, die das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 mit aufgesetzt haben.

Betrachten wir konkret die proAlpha-Kunden, so sind viele im Punkt Digitalisierung schon weit fortgeschritten. Allerdings liegt der Fokus ihrer Digitalisierung und Automatisierung mehr auf Back-Office-Prozessen. Konzepte wie Smart Production und Smart Services wie Predictive Maintenance sind dagegen hinten angestellt. Insbesondere im Vergleich zu China und den USA hinkt Europa im Bereich der Digitalisierung von Produkten, der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sowie der Nutzung digitaler Plattformen oder Ecosystemen hinterher

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Können Sie hier Gründe nennen? Hat es etwas mit der Mentalität zu tun?

Ich glaube tatsächlich, dass die Mentalität etwas damit zu tun hat. Insbesondere in den USA zählen die Unternehmen eher zu den Early Adoptern von neuen Technologien. Auch gewisse Länder in Asien nehmen Technologietrends sehr schnell auf. In Europa warten wir, bis es konkrete Use Cases und Erfolgsbeispiele gibt, bis wir neue Technologien und Angebote weitgehend implementieren.

Welche Prioritäten setzen Unternehmen in ihrer Digitalisierungsstrategie?

Wir sehen, dass sich deutsche Unternehmen sehr stark mit Projekten wie Connected Supply Chain, Qualitätssicherung, MES und auch Datenerfassung beschäftigen. Auch Up- und Downstream-Integration gewinnt an Bedeutung. Und gerade im Back-Office wird Prozessoptimierung durch RPA, sprich: Robotic Process Automation, mit Process Mining relevant. Vor kurzem haben wir eine Studie mit PAC durchgeführt. Darin gaben 61 % der befragten Unternehmen an, mit Künstlicher Intelligenz und RPA ihre Prozesse optimieren zu wollen.

Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf die Geschwindigkeit der digitalen Transformation in Unternehmen?

Wir unterscheiden hier zwischen kurz- und langfristigen Einflüssen. Kurzfristig beobachten wir, dass Unternehmen sehr unterschiedlich auf die Krise reagieren. Einige sind stark betroffen, verzeichnen starke Umsatzeinbußen und sind daher vorsichtiger mit neuen Investitionen und Projekten geworden. Andere hingegen nutzen die Zeit, um ihre Transformationsprozess zu beschleunigen, da momentan Kapazitäten frei sind und sie für die Zeit danach vorbereitet sein wollen.

Langfristig wird die Krise die Digitalisierung beschleunigen. Vielen ist klar geworden, dass vor allem die Unternehmen flexibler reagieren konnten, die Transparenz in ihrer Unternehmensperformance herstellen konnten. Diese Unternehmen navigieren wesentlich besser durch die Krise. Ich vergleiche es gerne mit einem Fluss: Führt er wenig Wasser, erkenne ich klar kleinere und größere Steine und kann besser entscheiden, wo ich den Fluss überqueren möchte. Und bei Unternehmen ist es genauso: Die Priorität für Digitalisierung ist glasklar geworden. Deshalb werden auch Initiativen aufgenommen und langfristig umgesetzt. Es geht um Flexibilität in den Geschäftsmodellen, um Resilienz, Transparenz und Sichtbarkeit im Unternehmen. Das sind alles Themen, die ausnahmslos durch die Digitalisierung unterstützt werden.

Laut der genannten PAC-Studie kann eine ERP-Software helfen, Prozesse zu optimieren und die Mitarbeiterproduktivität zu steigern. Wie funktioniert das?

Das ERP ist das digitale Rückgrat eines Unternehmens, es ist eine Daten- und Prozessintegrationsplattform und unterstützt wirklich alle Prozesse im Unternehmen. Es schafft eine Durchgängigkeit von Prozessen über alle Ebenen und gewährleistet eine einheitliche Datenbasis. Es hilft, die Kommunikation und Interaktion über Abteilungen hinweg, aber auch zu Lieferanten und Kunden zu verbessern und effizienter zu gestalten. Auf C-Level ermöglicht es in Verbindung mit Business-Intelligence-Tools schnelle Entscheidungen. Außerdem wird durch ein ERP vermieden, dass menschliche Eingriffe in Prozesse zu Fehlern führen. In Projekten lassen sich damit Aufgaben, die sich wiederholen, automatisieren und wertschöpfende Prozesse systematisch abbilden.

Dazu kommt ein Punkt, der sicherlich jetzt und in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird: Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Ressourceneffizienz. Ein ERP-System unterstützt dabei, mit Ressourcen jeglicher Art intelligent und effizient umzugehen. Es optimiert Routen in der Logistik, den Materialeinsatz in der Produktion und hilft, Prozesse durch optimierte Planung, effizienter zu gestalten.

Was sind die größten Fehler, die bei der Digitalisierung von Prozessen gemacht werden und wie lassen sie sich verhindern?

Die Digitalisierung ist nicht die 1:1-Übertragung von existierenden Prozessen in ein digitales Format. Die Digitalisierung ist eine fantastische Gelegenheit, Prozesse zu überdenken und ein Process Re-Engineering durchzuführen. Ein Fehler ist, diesen Schritt zu vernachlässigen. Ein weiterer Fehler ist, nicht in End-to-End-Prozessen zu denken – Order to Cash, Book to Bill. Die Unterstützung durch das Management ist hier extrem kritisch: Prozesse zu verändern ist eine strategische Entscheidung, die das gesamte Unternehmen betrifft. Und nur durch eine starke Unterstützung vom Management werden Prozessveränderungen möglich!

Oft wird die Datenqualität unterschätzt: Wie gut ein Prozess funktioniert, entscheidet die Datenbasis. Auch müssen die besten Ressourcen bereitgestellt werden und das ist gerade im Mittelstand, wo Ressourcen sehr knapp sind, eine Herausforderung. Aber jedes Unternehmen muss sich im Klaren über die Relevanz der Digitalisierung für sich sein: Es geht um Veränderung – wie wird die Arbeit geleistet, wie funktionieren Prozesse, wie werden Entscheidungen getroffen? Die Digitalisierung muss von einem Change-Prozess und starker Kommunikation begleitet werden.

Außerdem sollten Unternehmen auf Best Practices zurückgreifen; so verkürzt sich die Time-to-Value deutlich und das Risiko bei der Implementierung wird minimiert. Das fördern auch wir als Unternehmen sehr stark.

Sie erwähnten die Ressourcen bei der Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie. Wie sollte sich ein Team zusammensetzen, um das Projekt zum Erfolg zu führen? Es gibt in jedem Unternehmen Mitarbeiter, die Neuem gegenüber aufgeschlossen sind, andere sind grundsätzlich dagegen…

Die Prozessgestaltung muss im Vordergrund stehen. Auch ist die Digitalisierung kein Einzelprojekt, sondern setzt sich aus vielen kleineren Projektteams zusammen. Es müssen auch Führungskräfte dabei sein, die diese Prozesssicht im Auge behalten und vorantreiben. Sie müssen auch bevollmächtigt werden, Entscheidungen über Abteilungen hinweg zu treffen. Und deshalb komme ich wieder auf die Unterstützung der Geschäftsführung zurück. Es gibt immer Menschen, die Veränderungen nicht sofort begeistert gegenüberstehen oder grundsätzlich ablehnen. Ich glaube, es geht darum, in der Projektstruktur das richtige Governance Model zu schaffen, mit konkreten Arbeitspaketen, konkreten Leistungen und einem Einverständnis im Team, wie Entscheidungen getroffen werden und Verantwortung getragen wird. An der Projektführung liegt es, das Team auf das gemeinsame Ziel einzuschwören.

Wie sieht der digitale Alltag bei proAlpha aus?

Als Technologieunternehmen haben wir einen sehr hohen Automatisierungsgrad und haben uns deswegen beispielsweise bei der Umstellung auf Remote-Arbeit während des Lockdowns sehr leicht getan. Wir haben die Software, wir haben die Hardware und die Infrastruktur, die einen schnellen Umstieg in relativ kurzer Zeit erlaubten, so dass die Zusammenarbeit mit unseren Kunden nahezu unbeeinträchtigt weiterlief. Innerhalb weniger Tage arbeitete 95 % der Belegschaft remote. Aber wir suchen immer weiter nach Automatisierungsmöglichkeiten in unseren Prozessen, um effizienter zu werden – intern, aber auch in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden. Beispielsweise führen wir gerade ein neues Projektmanagement-Tool ein, das uns helfen wird, mehr Transparenz und Effizienz in unsere Projekte zu bringen. Außerdem arbeiten wir an einem neuen Kundenportal, um die Kommunikation und den Austausch mit unseren Anwendern besser gestalten zu können. Wir suchen immer nach weiteren Möglichkeiten, interne oder externe Prozesse zu optimieren – selbstverständlich vorrangig mit unserer Software, aber wir setzen auch Partnerlösungen ein, wo immer es sinnvoll ist.

In welchen Bereichen setzen Sie auf Partner?

Wir haben Partner zu verschiedenen Themen, zum Beispiel im Personalbereich rund um HCM. Das ist ja die Welt von heute: Es gibt kein monolithisches System, das alle Aspekte eines Unternehmens abdecken kann. Wir haben ein ERP, das extrem funktionsreich ist, aber nicht alle Anforderungen alleine abdecken kann, deswegen müssen wir mit Partnern ein Ecosystem schaffen.

Sie sind seit Jahresanfang CEO bei proAlpha. Welche Schwerpunkte werden Sie bei Ihrer Arbeit setzen?

Die Basis für unseren Erfolg sind die Antworten auf zwei wesentliche Fragen: Wie bleiben wir für unsere Kunden und unsere Kernmärkte innovativ – technologisch und in unserer Beratungskompetenz? Und wie können wir unsere Kunden am besten unterstützen, wie können wir sie zu weltweiten Champions machen?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mehrere Initiativen gestartet. Beispielsweise werden wir den Release-Zyklus unserer Software deutlich verkürzen. Für die Implementierung bei unseren Kunden wir eine Fast-Track-Methodik entwickelt, so dass sie innerhalb von vier bis sechs Monaten ihr System umstellen können.

Wir werden am Markt nur wachsen, wenn wir uns kompromisslos auf die Bedürfnisse unserer Kunden fokussieren. Das ist die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre, die wir auch weiter schreiben möchten. Wir sehen Wachstumschancen in unserem Kernmarkt, aber auch über diesen hinaus, zum Beispiel in der Medizintechnik. Und wir wollen am Ende auch über Akquisitionen wachsen, durch die Übernahmen von Unternehmen, die unser Portfolio sinnvoll ergänzen.

Außerdem werden wir in Zukunft international stärker als integrierte Gruppe auftreten und unseren Kunden an allen Standorten die gleiche Qualität bieten, zum Beispiel bei Services wie 24/7-Support.

Wie gelingt Ihnen der verkürzte Release Cycle, ohne dass die Qualität der Software leidet?

Unsere Entwicklung arbeitet nun in agilen Prozessen. Wir haben kleine Arbeitsgruppen, die schnell reagieren können. Die Qualitätssicherung läuft parallel und nicht erst am Ende der Software-Entwicklung. Durch die parallelen Prozesse haben wir die Qualität unserer Software gemessen an der Anzahl der Fehler schon deutlich verbessert.

ProAlpha arbeitet auch mit Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer und RWTH Aachen zusammen. Welchen Nutzen ziehen Sie als Firma und für Ihre Kunden aus der Zusammenarbeit?

In den vergangenen Jahren haben wir außerordentlich stark von diesen Kooperationen profitiert und arbeiten auch weiterhin mit verschiedenen Instituten zusammen, zum Beispiel im Bereich unseres Produktionsplanungs- und -optimierungstools. Im Bereich Big-Data-Analytics haben wir eine Entwicklungskooperation mit Fraunhofer. In einer Kooperation mit der RWTH Aachen konnten wir erstmalig Process Mining testen und für den Breiteneinsatz vorbereiten. Sie sehen, der Erfahrungsaustausch mit unseren Kooperationspartnern ist für uns von großem Nutzen. Es gibt uns die Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln und unsere Lösungen weiter zu entwickeln, zu optimieren und unseren Kunden damit den größtmöglichen Nutzen zu bieten.

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