Materialflusssimulation
Digitale Werkzeuge für die Fabrikplanung
In der Neu- und Umplanung von bestehenden Fabriken oder Fabrikbereichen helfen digitale Werkzeuge dabei, optimierte Strukturen zu schaffen und den Materialfluss zu verbessern. Konkret wurde dies in einem Projekt des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Saarbrücken am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik zusammen mit Stamer Musikanlagen gezeigt.
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Eine typische Herausforderung für heutige Unternehmen liegt darin, externe Veränderungen und Schwankungen mit bestehenden Strukturen der Fabrik zu lösen. Stoßen die vorhandenen Strukturen an ihre Grenzen, gilt es durch gezielte Umplanung Defizite zu beseitigen. Besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) existieren meist historisch gewachsene Maschinen- und Anlagenparks, sodass sich vermehrt Fragestellungen nach einem optimalen Fabriklayout ergeben.
Eine solche Fragestellung beschäftigte auch Stamer Musikanlagen mit Sitz in Sankt Wendel, deren Absatzzahlen sich seit Gründung positiv entwickelt haben. Parallel dazu sind die Strukturen in den einzelnen Produktionsbereichen entsprechend gewachsen. Das Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum Saarbrücken unterstützte das Unternehmen dabei, die Effizienz der bisherigen Produktionsabläufe zu steigern und die Kapazitäten auszubauen. Unter Verwendung einer vierstufigen Vorgehensweise wurden das vorhandene Layout und die Materialflüsse analysiert und optimiert. Zum Einsatz kamen moderne digitale Werkzeuge zur Fabrikplanung und Materialflusssimulation, mit deren Hilfe Modelle verschiedener Szenarien erstellt und untersucht werden können. Anhand dieser Szenarien kann eine Migrationsstrategie abgeleitet werden. Diese Strategie zeigt transparent auf, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Fabrik stufenweise umzugestalten.
Datenerfassung und Erstellung virtueller Modelle
Im ersten Schritt werden die in der realen Fabrik vorhandenen Informationen gesammelt, welche für die Modellbildung in der Fabrikplanungs- und Materialflusssoftware notwendig sind. Im Allgemeinen werden sowohl Daten über Produkte als auch über die dazugehörigen Prozessinformationen erfasst. Darüber hinaus gehören auch Informationen zu Maschinen und Anlagen sowie zu den vorliegenden Randbedingungen, beispielsweise baulicher oder organisatorischer Art, zur Ausgangsdatenbasis.
Nach der Datenerfassung kann im zweiten Schritt die Fabrikplanungssoftware eingesetzt werden, um die Informationen transparent und übersichtlich weiterzuverarbeiten. In der Software kann ein statisches Fabrikmodell erstellt werden, indem die vorhandenen Maschinen und Anlagen abgebildet und die Prozessketten der herzustellenden Produktvarianten hinterlegt werden. Durch die notwendigen Transporte der Bauteile innerhalb der Produktion ergeben sich die Materialflüsse, die in der Software als „Sankey-Diagramm“ visualisiert und aufgrund der zurückgelegten Distanzen mit Transportkennzahlen quantifiziert werden. Im Sankey-Diagramm werden Flüsse durch mengenproportional breite Pfeile dargestellt, sodass besonders transportintensive Strecken in der Produktion sofort ersichtlich sind.
Die aktuell vorliegende Struktur der zu untersuchenden Fabrik, auch „Brownfield As Is“ genannt, wird als Referenz genutzt, um andere Szenarien in Bezug auf ihren Materialfluss zu beurteilen. Demgegenüber steht ein ideales Fabriklayout, das „Greenfield“ Szenario, das losgelöst von den gegebenen Randbedingungen erarbeitet wird. Im Greenfield werden Maschinen und Anlagen so angeordnet, dass sich eine minimale Transportkennzahl ergibt. Anschließend wird versucht, das bestehende Layout unter Beachtung der gegebenen Res–triktionen so gut wie möglich an das Greenfield Szenario anzunähern („Brownfield Best Practice“). Zur Umsetzung des Brownfield Best Practice Szenarios müssen zwangsläufig Änderungen am aktuellen Layout vorgenommen werden. Sind diese Änderungen nicht kurzfristig und ohne Störung der Produktion zu verwirklichen, besteht die Herausforderung darin, einen Migrationspfad zu finden, in dem das Layout stufenweise angepasst wird. In den einzelnen Migrationsstufen werden jeweils nur Maßnahmen mit begrenztem Umfang realisiert, wodurch die laufende Produktion nur kurzzeitig oder in einem verträglichen Umfang beeinträchtigt wird.
Nach der Erstellung eines Migrationspfades werden zur weiteren Erprobung und Absicherung der erstellten Szenarien Materialflusssimulationen durchgeführt. Dieser Prozess wird ebenfalls softwaretechnisch unterstützt. In der Simulationsumgebung werden zusätzlich die notwendigen Prozesszeiten und Produktionsprogramme genutzt, um eine dynamische Abbildung der Produktion zu gewährleisten. Je nach Komplexität des Modells können hieraus verschiedene Informationen gewonnen werden. So werden beispielsweise Engpässe in der Produktion durch kritische Zustände in Maschinenauslastungsdiagrammen sichtbar. Darüber hinaus werden bei Verwendung von Menschmodellen auch exakte Mitarbeiterbedarfe ermittelt. Durch den Einsatz von Optimierungswerkzeugen werden außerdem auch Eingangsdaten, wie der Produktionsplan, optimiert. Wenn die Simulation der einzelnen Szenarien Probleme aufdeckt, werden die betroffenen Szenarien so lange in der Fabrikplanungsumgebung angepasst und erprobt, bis ein problemlos umsetzbarer Migrationspfad gefunden wird. Abschließend wird dieser Migrationspfad in der realen Fabrik schrittweise umgesetzt.
Im Projekt mit Stamer wurde ein Migrationspfad erarbeitet, dessen erste Änderungsmaßnahmen in den kommenden Betriebsferien realisiert werden.
Prof. Dr. R. Müller; L. Hörauf; J. Koch / as
Kurz erklärt: Das ZeMA:
Das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik gGmbH (ZeMA) betreibt anwendungsorientierte Forschung und industrienahe Entwicklung in den Bereichen Sensorik und Aktorik, Fertigungs- sowie Montageverfahren und deren Automatisierung. Das ZeMA bietet ein breites Forschungsspektrum mit dem Ziel der Industrialisierung und des Transfers von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in die Industrie und auf den betrieblichen Hallenboden. Die Arbeitsschwerpunkte sind mechatronische Systeme, innovative Produktionstechnologien und Industrie 4.0 Anwendungen. Bei der Durchführung der Entwicklungstätigkeiten arbeitet das ZeMA eng mit den Instituten und Lehrstühlen der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) und der Universität des Saarlandes (UdS) zusammen. www.zema.de
Neben Umsetzungsprojekten hat das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Saarbrücken kostenfreie und anbieterneutrale Angebote für KMU in den Themenfeldern Produktionsvernetzung, Mensch-Technik-Interaktion, Digitale Geschäftsmodelle sowie Digitales Handwerk. Zu diesem Angebot gehören unter anderem Informationsveranstaltungen, Workshops und Erprobungsmöglichkeiten anhand von Demonstratoren. www.kompetenzzentrum-saarbruecken.digital
Kurz erklärt: Der MHI e.V.
Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Montage, Handhabung und Industrierobotik e.V. (MHI e.V.) ist ein Netzwerk renommierter Universitätsprofessoren – Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber – aus dem deutschsprachigen Raum. Die Mitglieder forschen sowohl grundlagenorientiert als auch anwendungsnah in einem breiten Spektrum aktueller Themen aus dem Montage-, Handhabungs- und Industrierobotikbereich. Weitere Infos zur Gesellschaft, deren Mitgliedern und Aktivitäten: http://www.wgmhi.de.