Robotergreifer

Andrea Gillhuber,

So finden Sie den richtigen Greifer

Der junge Markt für kollaborative Greifer wächst und wächst. Die zunehmende Angebotsvielfalt stellt Endanwender vor die Frage: Welcher Greifer passt in meinem Fall am besten? Fest steht: Mit der Wahl des richtigen End-of-Arm-Toolings steht und fällt der Automatisierungserfolg. Welche Modelle eignen sich für welche Aufgaben besonders gut? 

Robotergreifer © Shutterstock.com / asharkyu

Um jemandes Hand hält man normalerweise an, wenn man sich seiner Sache sicher ist. Schließlich geht es dabei um eine Eheschließung, die große Liebe. In der Industrierobotik laufen die Dinge zugegebenermaßen etwas unromantischer ab, doch auch hier fragen sich Unternehmen: Wie finde ich den Richtigen? In Zeiten, da Mensch und Roboter Hand in Hand arbeiten, gibt es kollaborierende Greifer für alle möglichen Belange industrieller Produktion. Der Markt für Robotergreifer und -werkzeuge wächst unaufhaltsam: Laut Angaben der International Federation of Robotics (IFR) soll sich sein globales Umsatzpotenzial bis 2023 auf 1,4 Milliarden Euro vervierfachen. Während das Angebot zunimmt, erweitert sich auch das Einsatzspektrum solcher Greifwerkzeuge: Ausgefeilte Sensorik und moderne Software verleihen ihnen das nötige Feingefühl, um selbst Aufgaben in der Präzisionsmontage oder der sensiblen Oberflächenbehandlung zu übernehmen. Zu Beginn jedes Automatisierungsvorhabens stellt sich daher mehr denn je die Frage, welches Greifermodell das richtige ist.

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Pick & Place: Größer gleich besser?

Klassischerweise kommen kollaborierende Roboterarme und -greifer bei Pick-&-Place-Aufgaben zum Einsatz. Dazu zählen unter anderem Palettierung, Verpackung oder Maschinenbeschickung. Diese Tätigkeiten zu automatisieren birgt grundsätzlich den Vorteil, dass sich Abläufe bei konstanter Leistung beschleunigen lassen, was die Produktivität steigert. Im Lebensmittel- oder Pharmabereich senkt die Automatisierung außerdem das Kontaminierungsrisiko.

Empfehlenswert sind für Pick-&-Place-Applikationen prinzipiell kollaborative Zwei-Finger-Greifer. Features wie individuell anpassbare Fingerspitzen oder Tiefenkompensation machen ihren Einsatz effizienter, da sich die Greifer so besser auf die jeweilige Aufgabe einstellen und Gegenstände präziser fassen können. Um komplexe Abläufe besonders effizient zu automatisieren, macht außerdem der Einsatz eines Doppelgreifers Sinn: Solche Modelle sind in der Lage, zwei Objekte gleichzeitig zu handhaben, was die Durchlaufzeiten zusätzlich verringert.

Für die Feinmontage eignen sich Greifer mit integrierter Sensorik: Sie sind in der Lage, Werkstücke trotz ungenauer Parameter präzise zu platzieren. © OnRobot

Welches Modell im Einzelfall die richtige Wahl ist, hängt von den Parametern des zu handhabenden Objekts ab. So muss der Greifer zum Beispiel das jeweilige Gewicht stemmen können und daher für eine bestimmte Traglast zugelassen sein. Auch Größe und Umfang des Objekts sind entscheidend. Greifer mit höherer Spannweite sind von Vorteil, da sie sich flexibler auf den Umfang des Objekts einstellen können. Generell empfiehlt sich allerdings, das kleinstmögliche Modell zu wählen, das den eigenen Bedürfnissen gerecht wird. Je schwerer nämlich der Greifer selbst, desto geringerer die zur Verfügung stehende Traglast des Roboterarms. Zudem sparen Anwender Kosten, Platz und Energie.

Vakuumgreifer für flächige Gegenstände

Vakuumgreifer eignen sich vor allem für das Handling flacher Objekte bis etwa 10 kg. © OnRobot

Neben Gewicht und Größe ist auch die Form der handzuhabenden Objekte maßgebend. Handelt es sich um große, flache Gegenstände, macht ein Vakuumgreifer Sinn. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn es um das Handling von Solarpanelen, Fliesen oder Displays geht. Insbesondere Modelle mit verstellbaren Armen und anpassbarer Saugstärke sind in der Lage, flache Objekte unterschiedlicher Größe und Geometrie zu heben. Modelle ohne externe Luftzufuhr sind zudem besonders platzsparend und lassen sich so leichter in das Produktionslayout integrieren.

Für die Handhabung flacher Objekte mit poröser oder löchriger Oberfläche eignet sich der adhäsive Gecko-Greifer. © OnRobot

Zwei Nachteile haben Vakuumgreifer jedoch: Erstens können ihre Saugnäpfe auf besonders empfindlichen Oberflächen Spuren hinterlassen. Zweitens lässt sich nicht auf jeder Oberfläche ein Vakuum erzeugen, zum Beispiel bei porösen oder löchrigen Strukturen wie im Falle gebohrter Leiterplatten. In solchen Fällen schaffen adhäsive Greifsysteme wie etwa Gecko Greifer Abhilfe. Diese nehmen sich den biologischen Aufbau von Geckofüßen zum Vorbild: Beim Aufdrücken ihrer mit winzigen Härchen beschichteten Greifoberflächen auf ein Objekt entstehen Van-der-Waals-Kräfte, mit denen sie dieses ohne Zeitverzögerung anheben können. Leichtes, kontrolliertes Kippen des Greifers löst die Haftung wieder. Die speziellen Adhäsionsgreifer sind außerdem für Anwender geeignet, die nach einer energieeffizienten Lösung suchen: Sie brauchen nämlich keinen Strom, um den Greifvorgang aufrechtzuerhalten. Welcher Greifer im Einzelfall sinnvoll ist, bestimmt jedoch auch hier die nötige Traglast: Gecko Greifer heben Objekte bis etwa 4 kg, wohingegen kollaborierende Vakuumgreifer wie der VG10 von OnRobot auch für schwerere Lasten bis etwa 10 kg geeignet sind.

Smarte Greifer für Präzisionsmontage

In der Präzisions- und Feinmontage besteht die Herausforderung oft darin, filigrane Werkstücke unterschiedlicher Größe und Form trotz ungenauer Positionsbestimmungen exakt zu platzieren. Dies ist etwa beim Einsetzen von Stiftverbindungen der Fall. Im Kontext industrieller Fertigung haben es Roboterarme häufig mit weichen, verformten Materialien oder unregelmäßigen Werkstücken zu tun. Dennoch müssen sie die Stifte in die darin enthaltenen, engen Öffnungen einsetzen.

Smarte Greifer wie der RG2 können ihren Griff dynamisch an das jeweilige Werkstück anpassen. So eignen sie sich für Pick-&-Place-Aufgaben. © OnRobot

Um dies zu bewerkstelligen, müssen die Geräte in der Lage sein, selbst kleinste Widerstände wahrzunehmen, um ihren Kurs in Echtzeit zu korrigieren. Hierfür sind vor allem smarte Greifer mit integrierter Sensorik und entsprechender Software zu empfehlen: Sie können die per Sensor erfassten Prozessdaten direkt an den Roboterarm zurückspielen und dessen Bewegung verzögerungsfrei anpassen. So sind sie in der Lage, präzise Montagevorgänge durchzuführen, ohne die genauen Parameter vorab zu kennen.

Der RG2-FT-Greifer von OnRobot zum Beispiel verfügt über einen integrierten Näherungssensor sowie Kraft-/Drehmoment-Sensoren in seinen „Fingerspitzen“, wodurch er Objekte zentriert greifen und so etwa Ventile in Zylinderköpfe einsetzen oder Schaltgetriebe montieren kann.

Qualitätskontrolle erfordert Feingefühl

Eine hohe Flexibilität verlangt auch die Güte- und Qualitätskontrolle, denn hier sind Greifer regelmäßig mit Objekten unterschiedlicher Größe konfrontiert. Zudem sind diese oft empfindlich, wie beispielsweise Probengläschen. Nur mit der richtigen Sensorik, etwa Kraft-Moment- oder Näherungssensoren, ist der Greifer in der Lage, den angewandten Druck so anzupassen, dass der entsprechende Gegenstand nicht beschädigt wird. Auch die Messung von Kräften lässt sich durch haptische Sensoren kosteneffizient automatisieren, was zum Beispiel bei der Prüfung von Steckverbindungen relevant ist.

Vor diesem Hintergrund bieten sich auch für die Qualitätsprüfung in erster Linie Zwei-Finger-Greifer mit integrierter Sensorik oder in Kombination mit einem entsprechenden Sensormodul an. Für den Sitz der Sensoren gilt generell: Muss sich der Roboterarm im Zuge seiner Aufgabe komplexe Bewegungsabläufe merken, ist ein Modell ratsam, bei dem die Sensorik zwischen Arm und Greifer installiert ist. Ein Greifer mit integrierter Sensorik ist vor allem dann von Vorteil, wenn er Präzisionsaufgaben wie Feinmontage übernehmen soll. Werden im Prozess höhere Kräfte erwartet, ist wiederum ein Greifer mit externem Sensor zu empfehlen, da die integrierten Sensoren empfindlicher sind.

Für Oberflächenbehandlungen wie das Entgraten empfehlen sich Kraft-/Drehmoment-Sensoren wie die HEX-Modelle von OnRobot. © OnRobot

Bei der Behandlung von Oberflächen – sei es Entgraten, Polieren oder Schleifen – empfiehlt sich hingegen weniger der Einsatz klassischer Greifer als vielmehr die Kombination notwendiger Werkzeuge mit entsprechenden Sensormodulen. Die zentrale Herausforderung liegt bei der Oberflächenbehandlung nämlich primär darin, den Kraftaufwand des Werkzeugs genau zu dosieren und konstant zu halten. Zudem muss der Endeffektor den Konturen des Werkstücks exakt folgen können. Mit Kraft-/Drehmoment-Sensoren wie etwa den HEX-Modellen von OnRobot ist ein Roboterarm auch ohne aufwändige Programmierung hierzu in der Lage.

MRK: Vorteile der Automatisierung voll ausschöpfen

Welcher Greifer wann besonders sinnvoll ist, lässt sich nur für den jeweiligen Einzelfall bestimmen. Es bleibt zu konstatieren: Spannweite, Traglast und Sensorik sollten möglichst genau auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt sein. Smarte Greifer sind in der Regel von Vorteil, da sie sich dynamisch an die situativen Erfordernisse anpassen. In jedem Fall sollten Anwender darauf achten, Produkte zu wählen, die sich unkompliziert integrieren lassen und leicht zu bedienen sind. Kollaborative Plug-&-Produce-Lösungen amortisieren sich schnell und machen den vollen Nutzen der Mensch-Roboter-Kollaboration erfahrbar: maximale Flexibilität, höhere Effizienz in der Produktion und Entlastung der Mitarbeiter genau dort, wo eine helfende Hand gebraucht wird.

Enrico Krog Iversen, CEO bei OnRobot / ag

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