Interview mit Christoph Stichel, division one
Der Einfluss der Digitalisierung auf die Personalsuche in der Industrie
Die Digitalisierung ändert nicht nur unseren Arbeitsalltag radikal, sondern auch die Personalsuche. Christoph Stichel, Managing Partner der Personalberatung division one, ist Experte für die Branche Industrie und kennt die Herausforderungen, denen sich das Recruiting stellen muss.
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SCOPE: Wie hat sich die Personalsuche in der produzierenden Industrie in den vergangenen Jahren verändert?
Christoph Stichel : Die grundlegende Veränderung ist die der Nachfragesituation: Selbst Unternehmen, bei denen noch vor ein paar Jahren die Bewerber Schlange standen, müssen sich darauf einstellen, dass diese Zeiten vorbei sind. Das erfahren wir als Personalberatung division one jeden Tag. Dafür gibt es zwei Ursachen: 1. Es gibt einfach weniger qualifizierte jüngere Menschen, die ihre berufliche Karriere starten. 2. Die Veränderungen in der produzierenden Industrie selbst sind zentral für die Entwicklung. Als Konsequenz haben sich auch die Anforderungen an die Menschen verändert, die in der Produktionshalle an den Maschinen stehen. Kurz gesagt: Aus Mechanikern werden Mechatroniker. Elektronisch gesteuerte Prozesse haben schon vor Jahren überall in der Produktion Einzug gehalten, jetzt bringt die Digitalisierung noch einmal eine neue Qualität in diese Dynamik. Konkret heißt das, dass für die Arbeitsplätze, die heute zu besetzen sind, ein anderes Qualifikationsniveau gefordert wird. MINT-Fächer und -Abschlüsse werden immer wichtiger, selbst in Service- und Support-Funktionen.
Ein Faktor, der oft unterschätzt wird, aber auch schwierig zu ändern ist: der Standort. Gerade viele der sogenannten Hidden Champions bieten Arbeitsplätze an eher ländlichen oder kleinstädtisch geprägten Standorten an – und das ist für viele jüngere Fachkräfte nicht besonders attraktiv. Den Standortnachteil müssen Unternehmen entsprechend aktiv und engagiert mit anderen Maßnahmen, wie beispielsweise Kinderbetreuung oder Home Office, ausgleichen.
Für die Unternehmen ist Personal-Entwicklung und -Recruiting zu einer strategischen Aufgabe geworden. Das bedeutet vor allem Investitionen in die Personalabteilung, ins Marketing (Stichwort Employer Branding) und in das Aktive Sourcing und Recruiting. Gerade mittelständischen Unternehmen fällt das nicht leicht, auch weil es nicht nur um finanzielle Mittel geht, sondern sich auch die eigene Haltung zum Thema Recruiting grundlegend verändern muss. Arbeitgeber müssen sich selbst zu einer Marke machen – und das ist gerade für Unternehmen, die verständlicherweise auf das konzentriert sind, mit dem sie ihr Geld verdienen, nicht ganz einfach. Denn entgegen der Annahme, dass qualifizierte Bewerber nicht bereit sind, den Wohnort zu wechseln, ist der Wechsel zu einem namhaften Arbeitgeber im Ausland für viele attraktiv.
SCOPE: Welche Kriterien muss ein Mitarbeiter heute erfüllen, die in der Vergangenheit weniger gefragt waren?
Stichel : Heute müssen auch Mitarbeiter, die in der Produktion oder in vorwiegend technisch bestimmten Bereichen arbeiten, team- und kommunikationsfähig sein. Und das auch immer öfter in einer Fremdsprache. Gute Englisch-Kenntnisse sind eine Mindestanforderung. Die meisten produzierenden Unternehmen in Deutschland sind international aufgestellt, Kunden oder Kolleginnen, die nicht deutsch sprechen, werden immer üblicher.
Grundsätzlich gehört die Interaktion mit Kollegen, Projekt-Partnern, anderen Abteilungen oder Lieferanten mittlerweile zu den Basis-Anforderungen an die Mitarbeiter auf allen Ebenen eines Unternehmens. Vernetzung, flache Hierarchien, kollaboratives Arbeiten sind Strukturen und Arbeitsstile, die sich immer stärker durchsetzen, auch weil jüngere Arbeitnehmer das fordern. Gerade für ältere Mitarbeiter ist die Umstellung dagegen nicht immer leicht, hier sind dann Coaching und Kommunikation gefragt. Und die Bereitschaft, immer wieder neues zu lernen und offen für Veränderungen zu sein. Das Schlagwort „Lebenslanges Lernen“ klingt zwar schon ein wenig abgegriffen, aber es stimmt: Sich offen und lernbereit in neue Situationen zu begeben ist meines Erachtens die wichtigste Eigenschaft, die ein Mitarbeiter haben sollte. Und natürlich auch die Führungskräfte.
SCOPE: Wird die Ausbildung in Deutschland diesen Kriterien gerecht – sowohl an Universitäten als auch in Ausbildungsberufen?
Stichel : Sowohl Studien- als auch Ausbildungsgänge werden regelmäßig an den Wandel in Wirtschaft und Industrie angepasst. Die technische Ausbildung an deutschen Fachhochschulen, Dualen Hochschulen und Universitäten ist in Deutschland nach wie vor auf hohem Niveau – und die Bereitschaft, auf die Bedürfnisse der Studierenden, aber auch von Wirtschaft und Industrie einzugehen, ist hoch. Ein Problem sehe ich darin, dass das System eigentlich mehr MINT-Absolventen ausbilden könnte, aber es nicht genug Interessenten gibt. Das ist meiner Meinung nach auch Aufgabe der Schulen, die ja das Interesse für zukünftige Studienfächer und Berufswege wecken und die Grundlage für ein erfolgreiches Studium legen.
SCOPE: Was müssen Politik, Hochschulen und ausbildende Unternehmen tun, um diesbezüglich für die Zukunft gerüstet zu sein?
Stichel : Eigentlich bewegt sich hier schon ganz viel, es könnte nur ein bisschen schneller gehen. Aber das beklagen Wirtschaftsleute ja immer gegenüber politischen Prozessen und Verwaltungen. Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen, gemeinsame Start-Ups und Forschung, aber auch Weiter- und Fortbildung von Menschen, die bereits im Beruf stehen – solche Strukturen und Formen müssen weiter gefördert werden. Als Pate des Innovationsnetzwerks „Produktionsarbeit 4.0“ des Fraunhofer IAO erforschen und entwickeln wir bei division one zum Beispiel Change Management Prozesse, um Unternehmen besser auf die aktuellen und bevorstehenden Herausforderungen im Recruiting vorzubereiten. Damit sind wir einen Schritt voraus, um die Stellen der Zukunft erfolgreich zu besetzen. Außerdem müssen wir uns mehr darum kümmern, wie wir den Übergang in den Beruf für Absolventen attraktiver gestalten: Gerade MINT-Leute haben natürlich auch das nähere und fernere Ausland im Blick, wenn es um den Traum-Job geht.
Aber auch die Unternehmen selbst sind hier gefordert: Wer attraktiv für neue und alte Mitarbeiter bleiben will, muss in deren Aus- und Weiterbildung sowie Coaching investieren.
SCOPE: Wie reagieren Sie als Personalberatung auf die veränderten Anforderungen der Unternehmen?
Stichel : Auch für uns als Dienstleister in der Personalberatung ändern sich die Anforderungen und Arbeitsweisen. Unsere Beratungsleistung wird noch spezifischer und individueller. Wir besprechen mit Kandidaten und Unternehmen eine Vielzahl entscheidungsrelevanter Faktoren. Wir werden mehr zu Moderatoren und bringen so Anforderungen der Unternehmen mit Fähigkeiten und Erwartungen der Kandiaten passgenau zusammen.
Wir bei division one vermitteln in ertser Linie Führungskräfte. Hier gibt es seitens der Unternehmen durchaus die Bereitschaft, für die richtige Besetzung auch Geld in die Hand zu nehmen – das macht es natürlich etwas einfacher.
Die Digitalisierung hält auch bei uns Einzug: Die Suche nach geeigneten Kandidaten läuft zukünftig vermehrt auch mit Hilfe neuer Technologien. Hier sehe ich uns als Personalberatung gefragt, nicht nur mit der Zeit zu gehen, sondern vorauszudenken. Für uns ist das nicht neu, sondern Teil unserer DNA.