Klassifizierung von Bauteilposen

Torge Kolditz, M.Sc., Institut für Montagetechnik, Leibniz Universität Hannover / am,

Machine Learning in der Zuführtechnik

Das Institut für Montagetechnik der Leibniz Universität Hannover entwickelt ein Machine Learning Framework zur Klassifizierung von Bauteilposen in einer aerodynamischen Zuführanlage.

Ein Bauteil in einer aerodynamischen Zuführanlage wird von einer Hochgeschwindigkeitskamera erfasst, um dessen Orientierung mithilfe neuronaler Netze zu bestimmen. Bilder: Institut für MontagetechnikBild 1: Ein Bauteil in einer aerodynamischen Zuführanlage wird von einer Hochgeschwindigkeitskamera erfasst, um dessen Orientierung mithilfe neuronaler Netze zu bestimmen. © Institut für Montagetechnik

Moderne Produktionssysteme sind, bedingt durch einen hohen Kostendruck bei gleichzeitig steigenden Variantenzahlen und gestiegener Planungsunsicherheit, vielseitigen Herausforderungen ausgesetzt. In der automatisierten Montage kann diesen Herausforderungen durch den Einsatz flexibler Betriebsmittel begegnet werden. Die Zuführtechnik als entscheidender Baustein automatisierter Montagesystemen muss diesen Herausforderungen ebenfalls gerecht werden. Konventionelle Zuführsysteme wie beispielsweise Vibrationswendelförderer weisen jedoch systembedingt eine geringe Flexibilität auf. Ein vielversprechender Ansatz, der am Institut für Montagetechnik (match) der Leibniz Universität Hannover erforscht wird, ist die aerodynamische Zuführtechnik. Dabei werden die Bauteile durch gezielte Druckluftimpulse in die richtige Orientierung für die nachfolgenden Handhabungs- und Montageschritte gebracht. Im Vergleich zur Nutzung mechanischer Schikanen bietet dieses Verfahren eine höhere Flexibilität und Zuverlässigkeit im Betrieb.

Um die gezielte Manipulation der Bauteilorientierung durch die Druckluftimpulse zu ermöglichen, muss die Orientierung beziehungsweise Pose des Bauteils zunächst bestimmt werden. Das match forscht in diesem Zusammenhang an einer bauteilunabhängigen Methode zur Klassifizierung der möglichen Bauteilposen mithilfe künstlicher neuronaler Netze (KNN). Für das Training der KNN sind dabei Datensätze mit mehreren hundert Bildern jeder Bauteilorientierung notwendig. Für das Erstellen der Trainingsdatensätze nach dem konventionellen Vorgehen müssten daher die Bauteile in der Zuführanlage insgesamt mehrere tausend Mal fotografiert werden. Um den Aufwand und die Kosten für das Erstellen der Trainingsdatensätze deutlich zu reduzieren und Rüstzeiten gänzlich zu vermeiden, erfolgt das Training der KNN mithilfe künstlich erzeugter Datensätze.

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Framework für Training und Inferenz eines KNN auf Basis von CAD-Daten des Bauteils. © Institut für Montagetechnik

Training mit synthetischen Daten

Als Grundlage für die Erstellung der synthetischen Daten dienen CAD-Bauteile im gängigen STL-Format. Auf Basis dieser Daten erfolgt zunächst die simulationsbasierte Bestimmung der möglichen Orientierungen, die das Bauteil in der Zuführanlage einnehmen kann. Hierzu werden in einer Physiksimulation virtuelle Falltests durchgeführt und die resultierenden Bauteilposen automatisiert ausgewertet und geclustert. In der realen Zuführanlage werden die vereinzelten Bauteile auf dem Förderband seitlich geführt, so dass diese beim Passieren der Hochgeschwindigkeitskamera nur eine begrenzte Anzahl von diskreten Posen einnehmen können, die von der Bildverarbeitung klassifiziert werden müssen.

Die identifizierten Bauteilposen werden dann an ein Framework in der Open-Source-Software Blender übergeben. In Blender werden die Bauteile in einem Modell der Zuführanlage platziert und automatisiert ein Datensatz mit mehreren hundert Bildern für jede Bauteilpose gerendert. Dabei werden Bauteilposition, Belichtung und Kameraposition leicht variiert, um die Robustheit des mit dem Datensatz trainierten KNN zu erhöhen. Das Training des KNN erfolgt dann ausschließlich unter Verwendung des synthetischen Datensatzes. Durch die Variation der genannten Parameter während des Renderings wird ein Overfitting des Netzes vermieden und das Netz kann unmittelbar für die Inferenz, also die Klassifizierung realer Bauteilposen im produktiven Betrieb, eingesetzt werden.

Hohe Genauigkeit mit einfachem Framework

Das Machine Learning Framework erfordert keine proprietäre Software und lässt sich leicht auf andere Anwendungen übertragen. Die Parameter zur Erstellung der synthetischen Daten sowie die verwendeten neuronalen Netze können dabei ohne Programmieraufwand angepasst beziehungsweise ausgetauscht werden. Zur Validierung des Frameworks wurden Untersuchungen zur Klassifizierungsgüte verschiedener Netzarchitekturen durchgeführt. Die untersuchten Netze wurden ausschließlich mit synthetischen Datensätzen trainiert und anschließend auf reale Daten (Fotos der Bauteilposen) angewendet. Für das in Bild 1 zu sehende Bauteil konnte das sogenannte SqueezeNet, ein für die Bildverarbeitung vortrainiertes KNN, die unterschiedlichen Posen mit einer Genauigkeit von über 99 % korrekt klassifizieren. Eine alternative Architektur, das MobileNetV3, erreichte eine Genauigkeit von über 98 %. Von insgesamt zehn untersuchten Bauteilen konnte bei der Hälfte eine Genauigkeit von über 90 % und bei sieben eine Genauigkeit von über 80 % erreicht werden. Dies zeigt, dass die Klassifizierung von realen Bauteilen durch mit synthetischen Daten trainierte KNN möglich ist. Gleichzeitig besteht noch Verbesserungspotenzial, insbesondere bei Bauteilen mit weniger stark ausgeprägten Merkmalen liegt die Klassifizierungsgenauigkeit noch unter 80 %. Weitere Untersuchungen zielen darauf ab, diese Lücke zu schließen und somit einen universellen Einsatz des vorgestellten Machine Learning Frameworks zu ermöglichen.

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