Forschungsgruppe Bordnetze
Kollege Roboter soll helfen
Automatisierung in der Produktion von Bordnetzsystemen. Der Forschungsbereich Bordnetze am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) der Uni Erlangen befasst sich mit der quantitativen Analyse und Optimierung der Fertigungsprozesse von Bordnetzsystemen und leitet davon Optionen für eine Automatisierung ab.
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Mechatronische Systeme in Kraftfahrzeugen benötigen zum zuverlässigen Funktionieren Verbindungsmedien und Kontaktierungstechnologien, die für den vorgesehenen Einsatzbereich entsprechend ausgelegt sind. Heute werden in einem Kabelsatz eines Mittelklassewagens bis zu 3.000 Einzelteile, eine Kabellänge von 3,5 Kilometer und rund 1.500 Kontakteile verbaut. Für die Hersteller dieses Produktes bedeutet das die Beherrschung der Prozesse in der Produktionssystematik unter Berücksichtigung der hohen Qualitätsstandards und der Logistik in global verteilten Standorten. Aufgrund der hohen Variantenvielzahl, bedingt durch die große Auswahl an Ausstattungsoptionen sowie Kombinationsmöglichkeiten beim Kauf eines Pkw, entsteht der kundenspezifische Kabelsatz (KSK) mit seiner hohen Komplexität und den Herausforderungen bei der Handhabung und Montage von biegeschlaffen Bauteilen. Kabelsätze für Kraftfahrzeuge werden derzeit fast ausschließlich manuell hergestellt. Da der Standort Deutschland hinsichtlich des Lohnniveaus bei vorwiegend manuellen Tätigkeiten im internationalen Vergleich jedoch kaum wettbewerbsfähig ist, wurden die Tätigkeiten der Kabelsatzfertigung in den vergangenen Jahrzehnten nahezu vollständig in Niedriglohnländer im osteuropäischen, nordafrikanischen, mittelamerikanischen und asiatischen Raum verlegt. Mit einer Automatisierung in diesem Bereich wird eine Rückführung der Fertigungsstandorte ermöglicht und Vorteile bei Effizienz, Qualität, der präzisen Ausführung von Arbeitsschritten sowie bei den Kosten möglich.
Auch aus technischer Sicht gibt es zwei Gründe für eine Automatisierung in der Produktion von Bordnetzsystemen, die im Folgenden aufgezeigt werden. Zum einen zeigen Trends für die Mobilität der Zukunft, dass sich die Komplexität der Bordnetze noch weiter steigern wird. Gründe hierfür sind die weiter steigende Individualisierung der Fahrzeuge, das Hinzukommen neuer Sicherheitsanforderungen durch das autonome Fahren und die datentechnische Vernetzung der Anwender mit den Verkehrsmitteln. Veränderungen im Gebrauch und der Bedienung der Fahrzeuge durch den demografischen Wandel und die Elektrifizierung des Antriebsstrangs als Substitution des Verbrennungsmotors tragen ebenso dazu bei. Zum anderen stehen die Bordnetzhersteller und -anwender wegen der Forderung nach Bauraumreduzierung, Gewichtseinsparung und Steigerung der Daten- und Leistungsübertragung in den nächsten Jahren vor einem Entwicklungssprung: Die Basis hierfür sind die fortschreitende Miniaturisierung, die Integration intelligenter Bauelemente, die Erschließung neuer Materialien sowie die Verfügbarkeit neuer Technologien.
So verschwimmt beispielsweise zunehmend die Grenze zwischen starrer Automation und manuellen Tätigkeiten durch den Einsatz von intelligenten, kollaborativen Robotern. Ein vergleichbarer Entwicklungssprung hat in den 50iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der Einführung der gedruckten Leiterplatte stattgefunden, der das manuelle Verbinden von elektrischen/elektronischen Bauelementen mit Drähten und dem Ausführen entsprechender Fügeprozesse, komplett automatisiert hat.
Die Leiterplattenfertigung ist ebenfalls einer der Schwerpunkte in der Forschung am Lehrstuhl FAPS. Mit den langjährig gesammelten Erkenntnissen lassen sich visionäre Lösungen für die Aufbau- und Verbindungstechnik (AVT) in zukünftigen Kraftfahrzeugen ableiten. Hierzu gehört unter anderen die Herstellung dreidimensionaler Leiterplatten, sogenannte 3D-MID-Bauteile, mit ihren multiplen Lösungsansätzen für komplexe mechatronische Baugruppen.
Als ersten Schritt zur Automatisierung der Kabelsatzmontage wird am Lehrstuhl eine fundierte Analyse zur Charakterisierung der Kabelsätze und der Operationen zu deren Herstellung durchgeführt. Daraus abgeleitet ergibt sich ein Anforderungsprofil an die Automatisierungstechnik, mit dem auf dem Markt geeignete Aggregate, neue Komponenten und Technologien identifiziert werden. Hierzu zählen unter anderem Manipulatoren, Sensoren, Greifer, Kamerasysteme und Prüfmittel. Anschließend erfolgt die Entwicklung geeigneter Konzepte zur Automatisierung der Fertigung. Zur Validierung und Verifikation der Ergebnisse werden abschließend prototypische Montagezellen aufgebaut.
Ziel der Forschungsaktivitäten ist es, Technologieanbieter und -anwender moderner Bordnetze im Rahmen unterschiedlicher Kooperationsmöglichkeiten bei der Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen im Bereich der Signal- und Leistungsvernetzung mechatronischer Systeme zielgerichtet zu unterstützten. pb
Kurz erklärt: Der MHI e.V.
Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Montage, Handhabung und Industrierobotik e.V. (MHI e.V.) ist ein Netzwerk renommierter Universitätsprofessoren – Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber – aus dem deutschsprachigen Raum. Die Mitglieder forschen sowohl grundlagenorientiert als auch anwendungsnah in einem breiten Spektrum aktueller Themen aus dem Montage-, Handhabungs- und Industrierobotikbereich. Weitere Infos zur Gesellschaft, deren Mitgliedern und Aktivitäten: www.wgmhi.de.
Kurz erklärt: Der FAPS
Der Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg forscht unter anderem auf Themengebieten der Automatisierung von Montageprozessen. Eine Herausforderung sind Montageprozesse von Bordnetzsystemen und hochkomplexer Baugruppen in der Signal- und Leistungsvernetzung von mechatronischen Systemen. Der FAPS unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Jörg Franke beschäftigt derzeit an zwei Standorten rund 100 Mitarbeiter in sechs verschiedenen Forschungsbereichen: Biomechatronik, System Engineering, Elektronikproduktion, Elektromaschinenbau, Bordnetze sowie Bayerisches Technologiezentrum für privates Wohnen. Weitere Infos: www.faps.de.