Montagesysteme
Den Fortschritt erkennen
Gesten- und Fortschrittserkennung in der manuellen Montage. Zur Unterstützung von Werkern in der manuellen Montage untersucht das Bremer Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen (bime) die Einsatzmöglichkeiten von Tiefenkameras, um Bedienungsgesten von Werkern und den erzielten Montagefortschritt kontinuierlich erkennen und an ein Steuerungssystem weitermelden zu können.
Die Montage industrieller Güter, Maschinen und Anlagen findet zu einem großen Teil in manueller Arbeit statt. Eine zum Teil hohe Variantenzahl und die zunehmend digitalisierte Umgebung der Montage stellt Mitarbeiter und Montageplaner vor neue Herausforderungen. Mitarbeiter können durch technische Einrichtungen sinnvoll unterstützt werden, indem beispielsweise Arbeitsanweisungen und -pläne kontextbasiert dargestellt und das Ergebnis der Montage noch während der Durchführung der Arbeitsschritte geprüft und gegebenenfalls durch Warnmeldungen und Hilfsfunktionen verbessert wird. Die Montageassistenzsysteme müssen auf das entsprechende Produkt angepasst werden. Während ein Handarbeitsplatz räumlich begrenzt ist, erfordern großdimensionale Montageobjekte die Abdeckung eines größeren Arbeitsraumes sowie die Montagebeobachtung aus verschiedenen Blickwinkeln, um eine Verdeckung durch das Montageobjekt zu vermeiden. Für die dreidimensionale Erfassung hat sich die Microsoft Kinect als wirtschaftliche Lösung erwiesen. Diese wird am bime in unterschiedlichen Szenarien der Montageassistenz und -fortschrittserfassung genutzt.
In einem Szenario wird ein Handarbeitsplatz in einer Linienmontage betrachtet, welcher um eine senkrecht über dem Arbeitsplatz ausgerichtete Kinect und einen Monitor erweitert wird. Die Funktionen des Assistenzsystems umfassen die Informationsbereitstellung als Unterstützung für den Mitarbeiter, Fortschrittserfassung sowie Qualitätskontrolle. Zudem ist eine Gestensteuerung implementiert, mit deren Hilfe der Mitarbeiter mit dem System kommunizieren kann, um beispielsweise Funktionen des Assistenzsystems aufzurufen oder den Abschluss eines Arbeitspakets zu bestätigen. Die Software ist dabei auf intuitive Nutzbarkeit ausgerichtet, so dass verschiedene Varianten mit voneinander abweichenden Tätigkeiten mit geringem Aufwand eingerichtet werden können und Nutzer sich schnell mit dem System zurechtfinden. Dies wird durch einen Teaching-Prozess realisiert, bei dem während eines Montageprozesses Referenzbilder erstellt werden.
Die Referenzbilder stellen die Montagereihenfolge in mehreren Schritten dar und werden während der Montage mit den Informationen des Sensors verglichen. Aus den Referenzbildern werden die erwarteten nächsten Montageschritte extrahiert und dem Mitarbeiter auf dem Monitor als Überlagerung des Farbbilds dargestellt. Dieser kann so erkennen, an welcher Stelle ein bestimmtes Bauteil montiert werden muss. Erkannte Bauteile werden mit dem Referenzbild verglichen und bei ausreichender Überdeckung als i.O.-Teil markiert. Auf diese Weise werden Qualitätskontrolle und Fortschrittserfassung realisiert, welche durch Bestätigung per Handgeste nach Abschluss von Arbeitspaketen unterstützt werden können.
Während bei der manuellen Montage von Kleingeräten auf Werkstückträgern und Werkbänken die Arbeitsposition und damit der Aktionsbereich der Hände eindeutig bekannt ist, treten bei der Montage großdimensionaler Produkte wie Land- und Baumaschinen abweichende Anforderungen auf. Die Mitarbeiter bewegen sich frei um das Produkt und montieren an verschiedenen Orten. Dazwischen holen sie Material und Werkzeuge oder gehen zu einem Terminal oder Tisch, um sich auf einen neuen Auftrag einzubuchen oder Montagevorgänge zu dokumentieren. In einem zweiten Szenario wurde deshalb untersucht, wie die Gesten- und Fortschrittserkennung bei weiträumiger Aktion des Werkers umsetzbar ist.
Da die Auflösungen der Kamerasysteme bei großen Beobachtungsdistanzen nicht ausreichen, um einzelne Gegenstände oder gar deren exakte Position zu erkennen, wird eine indirekte Fortschrittserkennung mittels der Handpositionen des Werkers verwendet. In einem Teachmodus werden dem System die spezifischen Handposen beigebracht, an denen eine Aktion als erfüllt gilt. So wird aus der Anwesenheit einer Hand vor einem Greifkasten oder einem Regalfach interpretiert, dass der Werker ein Bauteil gegriffen oder geholt hat. Wird die Hand anschließend in die Nähe der Montageposition geführt, so interpretiert das System diesen Vorgang als Ausführung der Montage. Da es aufgrund der Betriebsmittel und des großen Montageobjekts keinen Punkt gibt, von dem aus ein einzelner Sensor die Mitarbeiter stets im Sichtfeld hat, wurde das System um einen Algorithmus erweitert, der es ermöglicht, mehrere Sensoren gleichzeitig auszuwerten und die von ihnen gelieferten Daten in ein gemeinsames Koordinatensystem umzurechnen. Zur Steuerung des Systems werden Armgesten benutzt. Somit kann der Werker aus der Ferne neue Aufgaben auswählen oder Rückmeldungen an das System geben.
Es hat sich gezeigt, dass Sensoren mit Tiefenbild in unterschiedlichen Szenarien zur Realisierung von Assistenzsystemen eingesetzt werden können. Der einfache Aufbau und die intuitive Nutzbarkeit dieser Systeme können an unterschiedlichen Stellen Effizienzvorteile schaffen, beispielsweise bei der kombinierten Qualitätskontrolle und Fortschrittserfassung oder der Vermeidung von Mitarbeiterbewegungen durch den Arbeitsraum zu Terminals und Eingabegeräten.
Die Unterstützung der Mitarbeiter durch die situationsangepasste Bereitstellung von Montageanweisungen und optischem Feedback zum Arbeitsergebnis vereinfachen den Umgang mit variantenreichen Montageobjekten. Die genutzten Sensoren verdeutlichen, dass derartige Assistenzsysteme kostengünstig realisiert werden können.
Dipl.-Ing. S. Hogreve/ M.Sc. S. Kaczmarek, bime/pb
Kurz erklärt: Der MHI e.V.
Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Montage, Handhabung und Industrierobotik e.V. (MHI e.V.) ist ein Netzwerk renommierter Universitätsprofessoren – Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber – aus dem deutschsprachigen Raum. Die Mitglieder forschen sowohl grundlagenorientiert, als auch anwendungsnah in einem breiten Spektrum aktueller Themen aus dem Montage-, Handhabungs- und Industrierobotikbereich.
Weitere Infos zur Gesellschaft, deren Mitgliedern und Aktivitäten: www.wgmhi.de.
Kurz erklärt: Das bime
Das Bremer Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen (bime) ist ein Institut der Universität Bremen im Fachbereich Produktionstechnik – Maschinenbau & Verfahrenstechnik. Am bime arbeiten rund 70 Mitarbeiter. Die von Prof. Dr.-Ing. Kirsten Tracht geleiteten Arbeitsgebiete Montagesysteme und Produktionsgestaltung entwickeln Lösungskonzepte für die Produktion komplexer Produkte in zunehmend vernetzten und agilen Umfeldern. Neben Entwicklung und Betrieb von Produktionsanlagen ist die Gestaltung von Montageprozessen, die Auslegung von Handhabungsgeräten und die Modularisierung von Produktionssystemen sowie Betriebsmitteln Gegenstand der Forschungsarbeiten. Planungshilfsmittel für effiziente Planungsprozesse und frühzeitig erreichbare, qualitativ hochwertige Planungsergebnisse stehen ebenso im Fokus der Arbeitsgruppe. Das bime ist Mitglied im MHI e.V.