Mitarbeiter-Entlastung
Unterstützung durch Exoskelette
Flexibilität in der Produktion bringt auch immer neue Aufgaben für den Menschen mit sich. Um Mitarbeiter bei körperlichen Tätigkeiten zu unterstützen, werden an der Universität Innsbruck verschiedene Arten von Exoskeletten entwickelt und getestet.
Die Globalisierung und der damit steigende Wettbewerb stellen Unternehmen vor verschiedene Herausforderungen. Neben der Notwendigkeit von kurzen Produktionszeiten zu geringen Kosten führt die zunehmende Nachfrage nach individualisierten Produkten zu einer höheren Produktvarianz und damit dem Bedarf an flexiblen Produktionsabläufen und einer Vielfalt an Tätigkeiten. Die erforderliche Flexibilität macht den Einsatz starrer Automatisierungslösungen oftmals unzweckmäßig und erfordert vielmehr den Einsatz zielgerichteter Assistenz. Neben kognitiven Assistenztechnologien wie Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) stellen physische Unterstützungssysteme wie Exoskelette eine Möglichkeit zur körperlichen Entlastung der Mitarbeiter dar.
Um die Mitarbeiter individuell und kontextabhängig zu unterstützen, müssen Exoskelette an die Unterstützungssituation – die ein Zusammenspiel aus Mensch, Aktivität und Technik ist – angepasst werden. Dabei spielen individuelle, aufgaben- und anwenderspezifische Anforderungen sowie die technische Wirkweise eine bedeutende Rolle. Die individuelle Unterstützung beschreibt dabei die Eigenschaft des Systems, sich an den Menschen mit seinen Erfahrungen und Qualifikationen anzupassen. Neben der grundsätzlichen konstruktiven Gestalt, die sich an die Anthropometrie der Menschen anpassen muss, sollte das System im Hinblick auf die Funktionalität und Unterstützungsleistung unter anderem die individuellen Fähigkeiten, die Arbeitsweise und die körperliche Verfassung der MitarbeiterInnen berücksichtigen. Auch sollte die Unterstützung kontextabhängig betrachtet werden. Dabei beschreibt der Kontext die Tätigkeit mit zentralen Eigenschaften in einer spezifischen Arbeitsumgebung, die von einem Menschen, eventuell unter Zuhilfenahme entsprechender Werkzeuge, unter den vorherrschenden äußeren Einflüssen ausgeführt wird.
Exemplarische Exoskelette
Als Beispiel dienen drei eigens entwickelte aktive Systeme zur individuellen und kontextabhängigen Unterstützung:
Das Exoskelett Lucy (Bild 1) verwendet pneumatische Aktoren und besitzt eine hybride Grundstruktur mit flexiblem Rückenteil und rigider Schulter-Arm-Kinematik, um Tätigkeiten in Kopfhöhe und darüber zu unterstützen. Die verwendete Druckluft eignet sich aufgrund der guten dynamischen Eigenschaften und der natürlichen Kompressibilität als Aktuierung eines inhärent sicheren Systems und damit für eine sichere Interaktion mit dem Menschen. Die Kinematik lässt sich über ein Schnellspannsystem an die individuelle Anthropometrie der Nutzer sowie über ein Bedienelement im Hinblick auf die Unterstützungscharakteristik anpassen. Neben der Unterstützungshöhe lässt sich auch der Unterstützungsverlauf anpassen.
Das Rückenexoskelett (Bild 2) ist ein System mit biomimetischer Struktur und textiler Kinematik, das für die Aktorik einen Verdrillantrieb (engl. Twisted-String-Aktuator) verwendet. Das Exoskelett unterstützt das Heben von Lasten sowie die Durchführung von Tätigkeiten in Oberkörpervorlage. Dabei verdrillen elektrische Motoren verbaute Seile und erzeugen damit eine translatorische Verkürzung, die die Unterstützung ermöglicht.
In Bild 3 ist ein Exoskelett zur Greifkraftverstärkung, das mit pneumatischen Aktoren betrieben wird. Die biomimetische Struktur unterstützt die Greifkraft des Menschen mit künstlichen Sehnen, die die Kraft der Aktoren entlang der Handfläche bis zu den Fingerspitzen leiten. Ein entsprechendes Verschlusssystem stellt sicher, dass die Sehnen während der Bewegung sicher geführt werden. Die Unterstützungsleistung erfolgt automatisch in Abhängigkeit zur aufgebrachten Kraft an den Fingerspitzen und der nutzerindividuellen Einstellung.
Situationsgerechtes Verhalten
Die vorgestellten Exoskelette können über Daten der integrierten Sensorik auf Situationen oder Tätigkeit schließen, was eine Anpassung der Unterstützungscharakteristik ermöglicht. Aufbauend auf der Möglichkeit zur kontextspezifischen Anpassung ist eine Bewertung der Ergonomie in Echtzeit möglich. Dafür wird die Sensorik herangezogen, um einerseits Arbeitsprozesse und Arbeitsplätze zu beurteilen sowie andererseits Systemgestalt und -verhalten zu adaptieren. Erfahrungen zeigen, dass Unterstützungstechnologien stets an Nutzer, Tätigkeit und Umfeld angepasst werden müssen. Nur so lässt sich eine gute und nachhaltige Entlastung erzielen, die sich wiederum positiv auf die Arbeitsqualität, Akzeptanz von Unterstützungstechnologien oder arbeitsbedingte Krankheitstage auswirken kann.
Oliver Ott, Lennart Ralfs, Niclas Hoffmann, Robert Weidner, Universität Innsbruck, Institut für Mechatronik, Arbeitsbereich Maschinenbau, Arbeitsgruppe Fertigungstechnik