Service-Lifecycle-Management
Im Dienst des Königs Kunde
In 20 Jahren werden keine Autos mehr verkauft, sondern der Kunde erwirbt eine Mobilitätsdienstleistung nach seinem Bedarf – Transporter, Cabrio oder Mountainbike. Spinnerte Vision? Nein – sondern heute schon Realität. Die Maschinenbauer machen es seit längerem vor, die Autoindustrie erkennt den Trend nun auch: Zukünftig will der Kunde immer öfter kein Produkt mehr kaufen, sondern eine Leistung. In der Industrie lautet das entsprechende Stichwort: Betreibermodell oder Pay-on-Production-Modell. So bezahlen etwa einige Autohersteller ihren Ausrüstern heute bereits nicht mehr die Maschinen, sondern die fehlerfreien Teile, die darauf hergestellt werden. Der Pressenhersteller Schuler „verkauft“ beispielsweise Umformmaschinen bereits seit Jahren nach diesem Modell an die Autohersteller.
Auch bei den eigenen Kunden sehen die Autobauer zunehmend den Trend und bringen sich als Mobilitätsdienstleister in Stellung. „Bis 2020 wollen wir führender Hersteller von Premiumprodukten rund um die individuelle Mobilität sein“, kündigte etwa BMW-Boss Norbert Reithofer in einem Interview an. Daimler vermietet bereits seit längeren mit Car2Go in Ulm erfolgreich seinen Smart; Peugeot hat sein Projekt Mu gestartet, bei dem der Kunde vom Fahrrad bis zum Transporter seinen jeweiligen Mobilitätsbedarf mieten kann. Und Audi denkt über eine Flatrate nach, mit der der Kunde bedarfsweise einen Sportwagen, SUV oder Kleinwagen benutzen kann.
Doch zurück zur Fertigungsindustrie: Bei immer mehr Maschinen- und Anlagenbauern setzt sich die Erkenntnis durch, dass sie zukünftig neben der Entwicklung, dem Bau und der Vermarktung von Maschinen für einen Teil ihrer Kunden zusätzliche Aufgaben erfüllen müssen – zum einen, um der entsprechenden Nachfrage nachzukommen, zum anderen aber, um Konkurrenten aus Billiglohnländern abzuwehren. Zu solchen neuen Aufgaben zählen die Unterstützung der Kunden in der Nutzung der Maschinen durch die Bereitstellung von Service- und Produktionspersonal, das Angebot innovativer Finanzierungslösungen, die zyklische Modernisierung der Anlagen wie auch die Rücknahme der Maschinen. Der am weitesten reichende Ansatz ist das bereits beschriebene „Pay-on-Production-Modell“.
Ziel des Dienstleisters wie auch des Kunden ist es natürlich, einen Vorteile daraus zu ziehen. Der Kunde überträgt eine Aufgabe an einen Dienstleister, weil der das als Spezialist kostengünstiger anbieten kann; zudem kann er seine Bilanz entlasten, indem er die Anlagen nicht aktivieren muss. Der Service-Anbieter seinerseits kann Bedarfe bündeln, sein Know-how vertiefen und Angebote platzieren, mit denen er sich vom Wettbewerb abheben kann.
Nur die Leistung wird bezahlt
Doch diese neuen Formen der Zusammenarbeit bergen auch Risiken, die der Anbieter bewältigen muss. Denn er muss sicherstellen, dass die zugesagten Dienstleistungen zum vereinbarten Preis auch erbracht werden – ohne selbst höhere Kosten zu schultern. Vorraussetzung ist es deshalb, dass er den gesamten Lebenszyklus seines Produktes genau kennt. Er muss die Risiken identifizieren können, die beim Betrieb entstehen können. Und er muss Lösungen entwickeln, um diese Risiken einzugrenzen. Die Spanne reicht dabei von der Produktentwicklung bis zur -rücknahme. Dazu benötigen die Unternehmen entsprechende Werkzeuge – das sind, neben Werkzeugen wie CAD und PLM , ergänzende Service Lifecycle-Management-Lösungen (SLM).
“Bisher haben Fertigungsunternehmen massiv in Entwicklung und Fertigung investiert”, sagt Andrew Wertkin, Technikvorstand des Softwareherstellers PTC. „Doch damit erzielen sie heute nicht mehr genug Vorteile. Sie müssen anfangen, den Servicebereich von einem Kostenfaktor in eine Einnahmequelle umwandeln. SLM-Technologie ist dabei eine wichtige Triebfeder. Bis heute besitzen jedoch wenige Hersteller eine entsprechende Strategie oder gar eine integrierte technologische Lösung, um diese Chancen nutzen zu können. In den meisten Fällen realisieren Firmen im Service daher lediglich ein Viertel der Wertschöpfung ihres Produktlebenszyklus.“
PTC hat deshalb in den letzten Jahren massiv in Entwicklungen und Aquisitionen rund um das Thema Service investiert und im August den SLM-Hersteller Servigistics für 220 Mio. Dollar übernommen. Andrew Wertkin: „Dienstleistung tritt neben das Produkt oder sogar an die Stelle des Produktgeschäfts. Wir sehen deshalb SLM nicht mehr als Teil des PLM-Angebots, sondern als eigenständigen Schwerpunkt.“ PTC wird damit nicht nur zum Wettbewerber von SAP, IBM und Oracle, zu deren Portfolio SLM schon lange gehört – sondern sieht sich hier als Marketleader. Allerdings verfolge PTC, so Wertkin, andere Ziele: „Dort geht es meist darum, Daten aus dem Service und von Zulieferern für die Produktion zu erfassen. Wir ermöglichen den Kunden, Produktdaten optimal für den Service zu nutzen und vice versa Servicedaten optimal in die Produktentwicklung einfliessen zu lassen.“
Denn um Serviceereignisse, die im Verlauf des Produktlebenszyklus unweigerlich auftreten, reduzieren oder zumindest vorhersagen zu können, benötigt der Service-Bereich Echtzeiteinblick in das Produktverhalten. Zudem kann der Hersteller mit einer SLM-Lösung Produktwissen am Ort der Serviceerbringung nicht nur bereitstellen, sondern auch Langzeit-Nutzungserfahrungen erfassen und sie in die Entwicklung zurückmelden. Damit wird eine geschlossene Feedbackschleife zwischen technischer Entwicklung und Service realisiert. Andrew Wertkin: “Die heute übliche Trennung von Produktentwicklung und Service verstellt vielen Kunden den Blick darauf, ihre vielen Potenziale im Service zu erkennen. Doch immer mehr Hersteller begreifen, dass sie mit dieser Strategie nur einen Teil der Umsätze erzielen, die hier möglich sind.“
Hajo Stotz