Tieflochbohrer
Zwei Monate mehr Maschinenkapazität
Neben Leichtbaumaterialien wie Aluminium übernehmen Kunststoffteile immer mehr Funktionen in Fahrzeugen, Maschinen und Elektrogeräten. Gleichzeitig werden ihre Formen immer komplizierter. Auch werden die Produktionszyklen immer kürzer, während die Zahl der spritzgegossenen Teile pro Werkzeug steigt. Für Formenbauer ergeben sich dadurch neue Anforderungen an Konstruktion, Entwicklung und Produktion.
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Bohrlöcher bis zu 400 mm Tiefe – und das in hochfestem Werkzeugstahl: Der Werkzeugbauer Polar-Form aus Lahr im Schwarzwald setzte dafür bisher auf Einlippenbohrer. Bis man vor gut drei Jahren mit Mathias Scherer vom Präzisionswerkzeughersteller Walter zusammentraf. Der Probelauf mit einem Walter DC170 Supreme als Pilotbohrer und den X treme D40 und D50 als Tieflochbohrer hat die Spritzgusswerkzeug-Spezialisten überzeugt, das Werkzeug in Zukunft einzusetzen. Konkret heißt das für Polar-Form: Bei Kühlkanalbohrungen hat sich die Bearbeitungszeit mehr als halbiert – mit entsprechend positivem Effekt auf die Maschinenlaufzeiten.
Polar-Form Werkzeugbau in Lahr hat sich im Markt einen Ruf als Spezialist für komplexe Spritzgießwerkzeuge und Drehteller erarbeitet. Sie beliefert vor allem Zulieferer der Automobilindustrie und auch Kunden in der Elektro- und Medizintechnik. 1993 gegründet, arbeiten heute insgesamt 70 Mitarbeiter in dem modernen Produktionsgebäude in Lahr. Polar-Form entwickelt und baut komplexe, kundenindividuelle Drehteller und Werkzeuge für Unternehmen weltweit – von Mexiko bis China. Mit bisher über 800 gefertigten Drehtellern zählt das Unternehmen zu den Marktführern. Ein weiteres Standbein des Werkzeugbauers ist die Lohnfertigung: Polar-Form übernimmt für Metall- und Werkzeugbauer anspruchsvolle Metallbearbeitungsaufträge. Dazu gehört neben dem Fräsen, Senk- und Drahterodieren vor allem das Tieflochbohren.
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Immer wichtiger in der Industrie: Teile aus Kunststoff
Tief gebohrt wird bei Polar-Form seit 2003 – und der Anteil dieser anspruchsvollen Form der Metallbearbeitung an den Aufträgen des Unternehmens wächst kontinuierlich. Getrieben wird diese Entwicklung von unterschiedlichen Faktoren. Da ist zum einen der Trend zu Leichtbauweisen. Neben Leichtbaumaterialien wie Aluminium übernehmen Kunststoffteile immer mehr Funktionen in Fahrzeugen, Maschinen und Elektrogeräten. Schalthebel und -knöpfe, Tastaturen, Fassungen und Dichtungsringe sind nur die offensichtlichsten Beispiele. Außerdem werden die Formen immer komplizierter. Das Know-how und die Prozesssicherheit von ausgewiesenen Experten in der Konstruktion und Produktion von komplexen Spritzgussformen und Drehtellern, wie Polar-Form, sind deswegen gefragt. Gleichzeitig steigen der Effizienz- und der Kostendruck in der Produktion: Die Produktionszyklen werden immer kürzer, die Zahl der spritzgegossenen Teile pro Werkzeug steigt. Heute gehören beim Spritzguss von kleineren Teilen 48 bis 64 Stück zum Standard – und das in drei bis vier Sekunden. Das stellt vor allem an die Kühlung von Form und Drehteller während des Spritzvorganges hohe Anforderungen.
Einer der Arbeitsgänge bei der Herstellung von Spritzgussformen und besonders bei Drehtellern, auf die die Mehrkomponenten-Formen aufgespannt werden, ist das Tieflochbohren. Vor allem Kanäle und Zuführungen für Kühlung, Hydraulik oder andere Stoffe werden so angelegt.
Von der Angstbearbeitung zum Erfolgsfaktor
„Für viele Metallbearbeiter ist Tieflochbohren so etwas wie eine Angstbearbeitung. Während der Bearbeitung sieht der Werker nicht auf die Bearbeitungsstelle, und wenn etwas schief geht, sind im Extremfall der Bohrer und das Bauteil beschädigt“, sagt Raphael Weber, Arbeitsvorbereitung und Programmierer bei Polar-Form.
Polar-Form hat aus dem Tieflochbohren eine seiner Kernkompetenzen gemacht. Das heißt für das Unternehmen auch, regelmäßig in neue Maschinen, Software und in die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen zu investieren. Die Anschaffung eines neuen Bearbeitungszentrums 2014 war der Anlass für Mathias Scherer, Außendienstmitarbeiter von Walter, sich bei Michael Gür, Teamleiter Grobzerspanung bei Polar-Form, zu melden. Scherer erinnert sich: „Wenn Unternehmen in ein neues Bearbeitungszentrum investieren, stehen immer auch die eingespielten Prozesse auf dem Prüfstand. Wir bei Walter legen großen Wert auf eine sehr enge Zusammenarbeit mit unseren Kunden und optimieren alle relevanten Prozesse. Vor Ort in der Produktionshalle auf den Maschinen, auf denen später auch der Auftrag ausgeführt wird. Wenn der Kunde sich darauf einlässt.“
Michael Gür und sein Team haben sich darauf eingelassen: Gemeinsam identifizierte man in Probeläufen mit unterschiedlichen Parametern, wo sich der Einsatz des DC170 Supreme und der Tieflochbohrer Walter X treme D40 und D50 tatsächlich lohnt und optimierte mit Unterstützung der Walter-Techniker die Prozessabläufe.
„Kühlkanalbohrungen nehmen viel Zeit und Maschinenkapazität in Anspruch. Pro Drehteller dauern allein die Bohrungen viele Stunden. Diesen komplexen Prozess haben wir analysiert und konnten danach die Bearbeitungszeit um mehr als die Hälfte reduzieren“, beschreibt Mathias Scherer das Vorgehen. „Auch wenn ein Walter-Bohrer in der Anschaffung teurer ist als ein Einlippenbohrer, zeigen sich schnell sehr deutliche Effizienzsteigerungen, sobald man die Maschinenkosten ganzheitlich betrachtet.“
Heute setzt das Unternehmen die Walter-Bohrer auf einer speziellen Tieflochbohrmaschine für Bohrungen bis 50 × D mit bis zu 400 mm Tiefe in Kunststoffformenstahl (CrMnMo) ein. Und auch auf der Ende 2017 angeschafften 5-Achs-Universalmaschine Grob G550 für die Komplettbearbeitung von Drehtellern kommen die Tieflochbohrer von Walter zum Einsatz. Michael Gür sagt: „Was uns überzeugt hat, war die Kombination aus Effizienzsteigerung und Prozesssicherheit, die wir gesehen haben. Walter hat anfangs von bis zu 50 Prozent mehr Standzeit und mindestens doppelter Vorschubgeschwindigkeit gesprochen. Das wurde bei unseren Prozessen weit übertroffen. Das Walter-Team hat ausgerechnet, dass durch die Prozessoptimierung die frei werdende Maschinenkapazität bei über zwei Monaten im Jahr liegt. In dieser Zeit können wir jetzt zusätzliche Lohnaufträge annehmen.“
Bohren anders gedacht
Für das Bohren nutzt man bei Polar-Form die X-treme D40 und D50 Bohrer. Sie basieren auf der neuesten Fertigungstechnologie und verfügen über eine mehrlagige TiAIN-Kopfbeschichtung, auch als TTP-Beschichtung geläufig. Durch die internen Kühlkanäle wird der Bohrer optimal gekühlt und der Spantransport sichergestellt. Die vier Führungsfasen halten den Bohrer exakt in der Spur.
Das Pilotieren übernimmt der DC170 Supreme. Das Besondere an diesem Bohrer ist seine patentierte Fasen-Geometrie. Das außergewöhnliche Führungsfasen-Design stellt die Hartmetallmasse direkt hinter der Schneidecke bereit, also da, wo die meiste Schnittkraft und die höchste Temperatur auftreten. Die Stabilität des Bohrers wird so genau an der Stelle erhöht, die für die Produktivität sorgt. Selbst bei schrägem Austritt oder bei Querbohrungen, wenn besonders hohe mechanische Belastungen auf den Bohrer einwirken, läuft der Walter DC170 sicher. Die radial angelegten Führungsfasen leiten die Zerspanungstemperatur in den Span ab. Dazu kommt die hohe Hitzefestigkeit des Bohrer-Substrats und der Beschichtung: Das Hartmetall kann mehr Temperatur aufnehmen als herkömmliche Bohrer, die TiAIN/AICrN-Beschichtung (Sorte WJ30EJ) erhöht die Warmhärte des Bohrers noch einmal.
Beeindruckt hat die Tieflochbohr-Spezialisten bei Polar-Form auch die hohe Laufruhe der Bohrer. Die spezielle Führungsfasenorientierung hält den Bohrer praktisch kontinuierlich auf Linie und reduziert so die Schwingungen auf ein Mindestmaß. Das Ergebnis sind Bohrlöcher von sehr hoher Maßhaltigkeit und Oberflächenqualität, die sich deutlich von dem unterscheiden, was mit konventionellen Verfahren in derselben Zeit erreichbar ist. Und das auch nach mehrmaligem Nachschleifen durch das Walter Reconditioning. Bis zum Ende der Standzeit lässt sich bei einem DC170-Bohrer kein Qualitätsabfall erkennen.
Raphael Weber von Polar-Form, der nun seit drei Jahren mit den Walter-Bohrern arbeitet, fasst es zusammen: „Das fühlt sich fast an wie Löcher stanzen. Einfach immer noch ein genialer Unterschied.“ Auch auf die Zusammenarbeit mit dem Walter-Vertriebs- und -Serviceteam ist Teamleiter Michael Gür gut zu sprechen: „Walter tauchte nicht nur am Anfang auf, um die Werkzeuge zu verkaufen. Mathias Scherer checkt regelmäßig, wie es bei uns läuft und bringt oft auch neue Vorschläge oder Ideen mit, die zu unseren Herausforderungen passen. Daraus hat sich eine gute Zusammenarbeit ergeben, die auch über das ursprüngliche Projekt hinausgeht.“
Nach Unterlagen von Walter / ag