Montagetechnik
Drei Sekunden
Mit höchster Konzentration filmen drei Kamera-Teams den Rüstvorgang an einer Schnellflechtmaschine. Doch was hier gedreht wird, wird kein Werbefilm. Drei Mitarbeiter von Huber+Suhner durchlaufen gerade ein Ausbildungsprogramm von Memex zum Utility Film Autor – einem Spezialisten, der Utility Filme visuell und technisch umsetzt. Ein Teilnehmer stellt fest: „Es ist nicht nur das Filmen an sich, das die volle Konzentration fordert. Man muss mit der gleichen Aufmerksamkeit und Sensibilität arbeiten wie beim Schreiben eines Anleitungstexts.“ Der entscheidende Unterschied: Man denkt nicht über Formulierungen nach, sondern über die bildliche Umsetzung, um auf diese Weise Dinge zu beschreiben, die mit Text-Bild Kombinationen gar nicht oder sehr schwer darzustellen sind.
Utility Filme sind Schritt-für-Schritt Anleitungen ohne Text und Sprache, wobei die Anleitungsschritte entweder als Video, 3D-Animationen oder Screenvideos dargestellt werden. Jedoch haben diese Filme mit herkömmlichen Industriefilmen nicht viel gemein. Im Gegensatz zu den klassisch linear ablaufenden Filmen, werden Utility Filme vom Anwender interaktiv gesteuert. Der typische Ablauf, wie ein Mitarbeiter über Utility Film angelernt wird: Per Klick auf einen Button lässt sich der Anwender einen Anleitungsschritt zeigen. Der Filmclip bleibt am Ende solange stehen, bis der Anwender die Handlung nachgeahmt hat. Dann lässt er sich den nächsten Schritt durch einen Klick auf den Weiterbutton zeigen bis der gesamte Handlungsverlauf abgeschlossen ist.
Verzweigungen im Film sind möglich. Besonders bei der Variantenfertigung kann der Anwender zwischen verschiedenen Handlungsschritten wählen. In diesem Fall erscheinen an bestimmten Stellen Dialogboxen, in denen die entsprechenden Varianten anzuklicken sind. Auf diese Weise ist es auch möglich, umfangreiche Lösungsbäume als Video darzustellen. Jeder Handlungsschritt, ob komplex oder einfach, kann innerhalb von drei bis fünf Sekunden abgebildet werden. Das klingt kurz, aber durch eine präzise visuelle Didaktik ist nicht mehr Zeit nötig. Die Dauer von drei Sekunden ist kein Zufallsprodukt. In etlichen Usability Tests hat sich herausgestellt, dass die menschliche Aufmerksamkeitsspanne gering ist und genau nach dieser Zeit die meisten Testpersonen mit dem Arbeiten anfangen, ohne das Ende des Filmclips abzuwarten. Entweder, weil sie befürchten, den Anfang des Clips zu vergessen oder im Gegenteil, sie schließen bereits auf das Ende, welches unter Umständen dann doch anders ausfällt als gedacht. Dies kann fatal enden, denn wichtige, vielleicht sogar sicherheitsrelevante Details werden nicht mehr wahrgenommen, und somit wird der abgebildete Vorgang nicht erfolgreich beendet.
Für den Autor von Utility Filmen bedeutet das nicht nur eine gezielte Auseinandersetzung mit der Technik, sondern zusätzlich die Beherrschung der filmischen Umsetzung mit der Kamera. Dazu kommen noch der Einsatz der Nachbearbeitungssoftware und die speziell auf die Anforderungen entwickelte visuelle Didaktik. Ein Kombinationswissen, das sich aber in der Dokumentation mittels Utility Film lohnt. Auf die Befähigung der Mitarbeiter wird bei Huber+Suhner großen Wert gelegt. Hierunter ist der Vermittlungsprozess gemeint, durch den der neue Mitarbeiter in der Produktion ausgebildet wird. In einem definierten Prozess vermittelt der Verantwortliche dem Auszubildenden alle Handlungsschritte. Erst, wenn durch entsprechende und dokumentierte Verifizierungen sichergestellt ist, dass der neue Mitarbeiter fehlerlos arbeitet, wird er selbständig in der Produktion eingesetzt. Der Utility Film dient zur Unterstützung dieses Ausbildungsprozesses. Dabei erfüllt dieses Medium verschiedene Anforderungen:
Sprachneutralität: Mit Sitz in der Schweiz und internationalen Standorten ist die Wissensvermittlung durch Text und Sprache bei Huber+Suhner stets eine Herausforderung. Die praktische Umsetzung von Textanleitungen führt nicht selten zu unbefriedigenden Ergebnissen. Zudem ist die Erstellung von textlichen Arbeitsanweisungen aufwändig. Viele Vorgänge lassen sich zum Teil nicht sprachlich beschreiben, sondern bessert zeigen.
Präzision des Bewegtbildes: Anders als beim Foto werden bestimmte Vorgänge erst deutlich, wenn die dazugehörige Bewegung zu sehen ist. Selbst scheinbar simple Handlungen, die allerdings zu entscheidenden Fehlern führen können, werden durch das Bewegbild präzisiert.
Fehlerquote ausschließen: Ein grundsätzlicher Nebeneffekt bei der Produktion von Utility Filmen ist, dass bereits bei den Dreharbeiten Prozesse analysiert und kritisch hinterfragt werden. So bildet hinterher der fertige Film den optimierten Prozess ab. Ähnliche Erfahrungen machten die angehenden Utility Film Autoren bei ihrer ersten Produktion: Nachdem eine Spule in der Schnellflechtmaschine ausgetauscht wurde, mussten die überschüssigen neu eingeflochtenen Drähte entfernt werden. Die Stelle, an der dies geschieht, ist textlich schwer zu beschreiben. Denn es handelt sich um einen Fehler im Geflecht, der sogar auf einem Standfoto kaum zu erkennen ist.
Die Schwierigkeit besteht nun darin, die überschüssigen gefachten Drähte mit einem Werkzeug abzutrennen. Im Utility Film werden die Handhabung des Werkzeugs und der Abtrennvorgang detailliert gezeigt. Ohne Anleitung führte eine Testperson die Arbeit unbefriedigend aus und verursachte eine Fehlstelle. Diese muss dann in weiteren Arbeitsschritten ausgebessert werden – ein Vorgehen, dass sich durch Utility Film-Darstellung und einem optimierten Prozess vermeiden ließe.
Flexible Prozessänderungen: Der modulare Aufbau der Utility Filme ermöglicht es, schnell auf Änderungen in den Prozessen zu reagieren. Ändern sich Produktelemente oder Produktionsmethoden, so werden diese schnell in den bestehenden Film eingearbeitet und aktualisiert.
Der Utility Film bietet damit eine ganzheitliche Lösung für die Dokumentation von Handlungsprozessen. Er dient nicht nur als Anleitungsmedium, sondern der ständigen Qualitätsverbesserung von Prozessen und Produkten. Bereits bei den Vorbereitungen werden kritische Prozesse ermittelt, die mit herkömmlichen Dokumentationsmedien nicht ausreichend dargestellt sind. Die Dreharbeiten bieten die Grundlage Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren. bw