Generierung von Montageinformationen
Eine Brille für die Klemmenleistenfertigung
Flexible Montageassistenz. Die Entwicklung einer Montageassistenz für Bereiche geringer Losgrößen und großer Variantenvielfalt ist eine Forschungsaktivität des Lehrstuhls für Produktionssysteme (LPS) an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Im Fokus steht die automatisierte Generierung von Montageinformationen aus digitalen Produktdaten zur Erschließung des Anwendungspotentials von Augmented-Reality-Technologien.
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Aufgrund der jüngsten technologischen Fortschritte im Bereich der Augmented Reality (AR, dt.: erweiterte Realität) ist ein zunehmendes Interesse im industriellen Umfeld zu verzeichnen. Augmented Reality zeichnet sich durch die Erweiterung der Realität um digitale Informationen in räumlichem Kontext zur Umgebung in Echtzeit aus. Die kontextuelle Informationsbereitstellung sowie die damit verbundenen Möglichkeiten zur Mensch-Technik-Interaktion bieten aus industrieller Sicht insbesondere bei Anwendungen Potential, bei denen komplexes Wissen in manuellen Prozessen benötigt wird. Dieses Potential wurde bereits in Anwendungen (beispielsweise Wartung und Instandhaltung von Maschinen) erschlossen, in denen darzustellende Inhalte einmalig vorbereitet und mehrfach wiederverwendet werden können.
Hingegen stellen Anwendungen mit lediglich einmaliger Verwendung von Visualisierungsinhalten bislang eine Anwendungsgrenze von Augmented Reality dar, da der Aufwand für die manuelle Inhaltsgenerierung einen wirtschaftlichen Einsatz verhindert. Die erforderliche Aufhebung dieser Limitierung auf dem Gebiet der Klemmenleistenfertigung im Schaltschrankbau wird am Lehrstuhl für Produktionssysteme (LPS) in Kooperation mit dem Unternehmen Phoenix Contact fokussiert. Bedingt durch eine hohe Produktkomplexität, eine große Variantenvielfalt sowie geringe Losgrößen, weist diese Disziplin einen hohen manuellen Arbeitsanteil auf. Als industrienahes Forschungsumfeld am LPS dient eine Montagelinie für die Klemmenleistenfertigung. Diese besteht aus insgesamt sieben Stationen, an denen vollständige Klemmenleisten aus Einzelkomponenten montiert werden können. Für diesen Prozess wurde ein Montageassistenzsystem mit der AR-Brille HoloLens (Firma Microsoft) prototypisch umgesetzt. Die Applikation besteht aktuell aus zwei Software-Komponenten: Die erste Komponente stellt eine zentrale Steuerung mit grafischer Oberfläche dar, die auf einem PC ausgeführt wird und das auftragsspezifische Importieren von Montageinformationen erlaubt.
Die zweite Komponente stellt die AR-Software dar, die auf der HoloLens ausgeführt wird. Über eine TCP/IP-Verbindung (via WLAN) kommuniziert die zentrale Steuerung mit der HoloLens-Applikation zur Laufzeit und sendet zum Beispiel zu visualisierende Instruktionen und Informationen über zu montierende Teile. Aktuell umfasst die Funktionalität der AR-Anwendung das marker-basierte Tracking der Arbeitsstation und der montierten Klemmenleiste, das Anzeigen von Entnahmebehältern, die Darstellung textueller Anweisungen sowie die 3D-CAD-Visualisierung der Einbaulage von Komponenten als Überlagerung zum realen Montageobjekt. Die prototypisch umgesetzte Werkerassistenz wird zukünftig um die Möglichkeit erweitert, zusätzliche Systeme zur Qualitätsprüfung und Visualisierung anzubinden.
Für eine Anwendbarkeit der entwickelten Montageassistenz in der Klemmenleistenfertigung wird das Ziel verfolgt, zu visualisierende Montagesequenzen automatisiert und auftragsspezifisch ohne manuelle Vorbereitung aus bestehenden Produktdaten abzuleiten. Das digitale Produktabbild soll dabei im standardisierten Zwischenformat AutomationML (Automation Markup Language) vorliegen.
Als Ansatz für die automatisierte Ableitung von Montageinformationen aus dem digitalen Produktabbild wird die Definition von Regeln im Hinblick auf zwei Aspekte verfolgt: Der erste Aspekt umfasst produktspezifische Zusatzinformationen, die die montageseitige Verträglichkeit von Komponenten definieren. Der zweite Aspekt umfasst anlagenspezifische Zusatzinformationen, die eine eindeutige Entscheidung für eine valide Montageabfolge definieren. Mit den Zusatzinformationen soll die eindeutige, automatisierte Ableitung vollständiger Montageanleitungen aus dem digitalen Produktabbild ermöglicht werden. Die generierte Montageanleitung soll anschließend an das entwickelte Montageassistenzsystem übergeben werden. Auf diese Weise sollen AR-Technologien zukünftig auch in verschiedenen Montagebereichen mit geringen Losgrößen wirtschaftlich eingesetzt werden können.
Jürgen Kutschinski/as
Kurz erklärt: Das LPS:
Der Lehrstuhl für Produktionssysteme (LPS) wurde 1976 durch Prof. Dr. Wolfgang Maßberg an der Ruhr-Universität Bochum in der Fakultät für Maschinenbau gegründet und seit April 2015 von Prof. Dr. Bernd Kuhlenkötter geleitet. Die wissenschaftliche Ausrichtung des LPS umfasst die Themenfelder Produktionsmanagement, Produktionsautomatisierung und industrielle Robotik. Der LPS betreibt eine nach modernen Gesichtspunkten gestaltete Pilotfabrik, in der die theoretischen Konzepte umgesetzt und evaluiert werden. Durch die Demonstration der Ergebnisse in der Pilotfabrik fördert der LPS den Technologie-Transfer in die Wirtschaft. Die Pilotfabrik diente zusätzlich als Basis der am Lehrstuhl entwickelten Lernfabriken. Die unterschiedlichen Lernfabriken werden zum einen für die studentische Ausbildung genutzt und ebenso als Weiterbildungsprogramm industrieller Mitarbeiter angeboten. www.lps.ruhr-uni-bochum.de
Kurz erklärt: Der MHI e.V.
Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Montage, Handhabung und Industrierobotik e.V. (MHI e.V.) ist ein Netzwerk renommierter Universitätsprofessoren – Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber – aus dem deutschsprachigen Raum. Die Mitglieder forschen sowohl grundlagenorientiert als auch anwendungsnah in einem breiten Spektrum aktueller Themen aus dem Montage-, Handhabungs- und Industrierobotikbereich. Weitere Infos zur Gesellschaft, deren Mitgliedern und Aktivitäten: www.wgmhi.de.