Interview mit Moritz Meißner, Vinci Energies Deutschland

Andrea Gillhuber,

„Vorangehen anstatt hinterherlaufen“

Bei der Digitalisierung geht es vor allem um den Menschen. Das wird häufig vergessen. Wie ein Unternehmen seine Mitarbeiter auf dem Weg mitnehmen kann und richtig schult, darüber sprachen wir mit Moritz Meißner, Fachbereichsleiter Digital Learning und stv. Leiter Akademie Digitalisierung & Innovation von Vinci Energies.

Interview mit Moritz Meißner, Vinci Energies Deutschland: „Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck.“ © Shutterstock / fotoinfot

Herr Meißner, Digitalisierung ist in aller Munde. Dabei wird häufig nur die Technik gesehen. Was macht die Digitalisierung mit dem Menschen, sprich: dem Mitarbeiter?

Moritz Meißner, Vinci Energies Deutschland © Vinci Energies Deutschland

Moritz Meißner: Um die Frage zu beantworten, möchte ich zwei unserer Top-Führungskräfte zitieren. Einerseits die folgende Aussage von Frank Westphal, Geschäftsführer Vinci Energies Deutschland und CEO von Actemium Deutschland: „Die Digitalisierung wird kommen und bei uns wird der Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehen.“ Ergänzend dazu sagte Dr. Reinhard Schlemmer, Deputy General Manager von Vinci Energies Europe: „Digitalisierung wird alle Bereiche betreffen. Auch dort wo wir einen hohen Anteil an Blue-Collar-Leistungen erbringen. Lasst uns gemeinsam gestalten statt nachzubessern. Agieren statt reagieren."

Beide Aussagen treffen den Kern der derzeitigen Entwicklung, der leider noch zu oft übersehen wird. Schließlich ist die digitale Transformation kein Selbstzweck, sondern es ging und geht auch in Zukunft immer noch um den Menschen. Daher lautet die Frage, die wir uns immer stellen sollten: Wie kann uns die Technik dabei helfen, unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern? Das kann bedeuten, dass bestimmte Arbeiten wegfallen, weil sie automatisiert, vereinfacht oder überflüssig werden. Gleichzeitig kommen jedoch immer wieder neue Aufgaben hinzu, die im besten Fall mehr Spaß machen, weil langweilige und monotone Tätigkeiten wegfallen. Unser Ziel ist es deshalb, gemeinsam mit unseren Kollegen voranzugehen, statt Entwicklungen zu verschlafen und ihnen hinterherzulaufen.

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Was sind die größten Ängste der Mitarbeiter, wenn sie „Digitalisierung“ hören?

Meißner: Die Ängste sind so verschieden wie die Mitarbeiter. Deshalb gibt es da auch keine Pauschalantwort. Stattdessen muss man auf jeden Mitarbeiter individuell eingehen. Denn nur so können wir herausfinden, ob jemand tatsächlich Angst hat und wenn ja, wovor. Häufig sind die vorhandenen Sorgen eher diffus. Das heißt, dass Mitarbeiter gar nicht genau wissen, wovor sie sich eigentlich fürchten. Bei vielen ist es eher ein komisches Gefühl im Bauch, weil sich momentan viel verändert und widersprüchliche Informationen in den Medien verbreitet werden. Mal vernichtet Digitalisierung Arbeitsplätze; mal schafft sie Arbeitsplätze. Aber wirklich erklärt wird das alles selten und wenn, dann so kompliziert, dass sich keiner damit beschäftigen möchte.

Also wissen Mitarbeiter in der Regel gar nicht, was genau es mit der Digitalisierung auf sich hat?

Meißner: Nein. Und das ist auch kein Wunder. Denn in erster Linie ist Digitalisierung schlicht ein Buzzword, das jeder anders definiert. Vor allem in Deutschland erschlägt das Wort Digitalisierung fast alles. Der eine hält sich für digital, wenn er ein Worddokument in ein PDF umwandeln kann. Der andere versteht darunter die Automatisierung von Prozessen und wieder andere sehen vor allem die Chancen und Risiken der sogenannten Plattformökonomie.

Daher ist es im ersten Schritt enorm wichtig, dass man im Unternehmen – aber auch gerne darüber hinaus – eine gemeinsame Sprache findet. Was bedeutet Digitalisierung für uns? Geschieht das nicht, laufen viele Gespräche und Meetings ins Leere, weil jeder über Digitalisierung spricht und trotzdem etwas anderes meint. Erschwerend kommt hinzu, dass sich viele nicht trauen zu fragen, weil sie befürchten, es könnte als Schwäche wahrgenommen werden, wenn man sich mit einem so präsenten Thema nicht auskennt. Doch das ist ein Irrtum. Offen zu fragen, ist immer die bessere Lösung. Das gilt für Mitarbeiter wie Führungskräfte gleichermaßen.   

Sirkka Freigang von Bosch beschreibt es als einen Dreiklang: Umwelt, Mensch und Technologie. Passen die Räume, in denen gearbeitet wird, zu den Anforderungen? Weiß der Mensch, was auf ihn zukommt und hat er die Chance, sich eigenverantwortlich weiterzuentwickeln? Stellen wir die richtigen Werkzeuge zur Verfügung und sind wir bereit, Fehler zu akzeptieren?

Wie schafft ein Unternehmen den gleichen Kenntnisstand aller Mitarbeiter zum Thema Digitalisierung?

Meißner: Durch Kommunikation, Kommunikation und noch mal Kommunikation. Bei Vinci Energies Deutschland mit unseren vielen Unternehmen und Marken wie Actemium nutzen wir jede Gelegenheit, die Mitarbeiter darüber zu informieren, was gerade passiert und sie zur Mitarbeit einzuladen. Wir nutzen dazu eine ganze Reihe verschiedener Kanäle: Mitarbeiterzeitung, Enterprise Social Network (Yammer), in fast jedem Training und bei allen möglichen Veranstaltungen wie Roadshows, Conventions, BU-Leiter-Meetings, Betriebsratsversammlungen, Welcome Days für neue Mitarbeiter und vielem mehr.

Eine Maßnahme, die ich besonders hervorheben möchte, sind unsere Digital Readiness Days (DRD). Hier werden ausgewählte Zielgruppen über zwei bis vier Tage auf eine Reise genommen, bei der aufgezeigt wird, was gerade um uns herum geschieht. Begonnen haben wir damit im Januar 2018 mit unserem Konzernbetriebsrat. Mittlerweile sind auch unsere Personalleiter und die Führungskräfte der Marken Actemium und Omexom auf die Reise gegangen. Mitte Juni geht es weiter mit der Marke Vinci Facilities. Dabei geht es nicht darum, IT-Fertigkeiten oder technische Fähigkeiten zu vermitteln. Wir haben auch nicht den Anspruch, dass jeder Teilnehmer danach das hohe Lied der Digitalisierung singt. Dafür ist der Hintergrund der Teilnehmer zu heterogen. Vielmehr verfolgen die DRD das Ziel, Ängste zu nehmen, dank klaren Inhalten Orientierung durch den dichten Buzzword-Jungle zu geben und praktische Beispiele anzubieten.

Konkret heißt das zum einen, ein einheitliches Bild vom Geschehen um uns herum zu entwickeln. Zum anderen wollen wir aktiv mit den neu hinzugewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen arbeiten – die Teilnehmer sollten sich zu konkreten Maßnahmen verpflichten. Dabei sind die einzelnen Ziele nicht im Voraus definiert. Es gibt also keinen Versuch, jemanden durch geschickte Tricks auf einen bestimmten Weg zu bringen. Die Teilnehmer können selbst bestimmen, was für sie wichtig ist, basierend auf ihrem inneren Bedürfnis. Wenn wir sie unterstützen können, tun wir das gerne.

Mitarbeiter richtig schulen

Wie und in welchen Bereichen müssen Mitarbeiter geschult werden?

Meißner: Wie bereitet man vorhandene und über Jahrzehnte gewachsene Strukturen auf eine „neue Welt“ vor? Eine neue Welt, in der die einzige Konstante der Wandel ist. 

Es ist nicht einfach, einen praktikablen Weg zu finden, der sowohl dem Einzelnen bei seinen täglichen Herausforderungen hilft, als auch dazu beiträgt, dass das ganze Unternehmen erfolgreich ist. Nur diejenigen, die ein ganzheitliches Konzept haben, dieses klar kommunizieren und langfristig angehen, dürfen darauf hoffen, dass sich tatsächlich etwas bessert. Ich bin davon überzeugt, dass das Fundament dafür vor allem eine offene Kollaborationskultur ist.

Bei Vinci Energies haben beispielsweise die französischen Kollegen das Change Lab ins Leben gerufen. Das Team hat den Auftrag, digitale Talente zu identifizieren, zu unterstützen und zu fördern. Weder beim Team noch bei den digitalen Talenten handelt es sich um klassische IT-ler. Vielmehr sind es Kollegen jeden Alters, die offen für Neues, belastbar und kommunikationsstark sind. In Deutschland haben sich Kollegen aus verschiedenen Unternehmensbereichen zusammengefunden und das Change Lab besucht. So konnten wir in Erfahrung bringen, was in Frankreich bereits gut funktioniert, und setzen darauf aufbauend Best Practices auch in Deutschland um. Unsere gemeinsame Vision lautet: Promote solidarity & trust to empower co-workers.

Wie verändert sich die Mitarbeiterschulung in Zeiten der Digitalisierung?

Meißner: Eine Maßnahme, die gut funktioniert, ist das „Reverse Mentoring“. Dabei können leitende Führungskräfte mit ihrem Team an Workshops teilnehmen und so einen kurzen aber prägnanten Überblick darüber erhalten, was mit Tools möglich ist, die jedem Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Wichtig dabei ist, dass nicht die Tools im Mittelpunkt stehen, sondern die täglichen Herausforderungen der Mitarbeiter. Erst im zweiten Schritt wird kurz, knapp und einfach nachvollziehbar erklärt, wie ein Problem gelöst werden kann: beispielsweise Meeting Protokolle mit OneNote anlegen; Umfragen über Forms verschicken; gemeinsam an Dokumenten in MS Teams arbeiten. Darüber hinaus reichern wir nach und nach jedes unserer regulären Trainings mit neuen Methoden und Tools an. Das bedeutet natürlich auch, dass wir zuvor den Trainer aus unserem Best-Partner-Netzwerk auf die Reise mitnehmen müssen.

Ein weiteres Thema, das zukünftig zentral sein wird, sind Virtual Reality (VR) bzw. Augmented Reality (AR) Trainings. Hier ist zwar noch ein weiter Weg zu gehen, aber ihr flächendeckender Einsatz ist nur eine Frage des „Wann“ und nicht des „Ob“. Bei denjenigen Unternehmen, die VR-Trainings bereits anbieten, liegt aktuell der Fokus meistens noch zu stark auf der Technik und zu wenig auf der für jedes Training erforderlichen Methodik und Didaktik. Dagegen haben wir im Oktober 2018 einen Piloten zum Thema Mitarbeitergespräche durchgeführt. Neben der VR-Technik wurde das Training von einem erfahrenen Trainer mit psychologischer Ausbildung geleitet. Der Kurs besteht aus einem eintägigem Präsenztraining, dreiwöchigem Selbstlernen und abschließendem Skype-Telefonat. Jeder Teilnehmer erhält eine VR-Brille, mit der er zu jeder Zeit an jedem Ort Mitarbeitergespräche mit unterschiedlichen Charakteren üben kann. Zusätzlich kann der Nutzer mehrfach Feedback vom Trainer einholen. Darüber hinaus kann VR verstärkt der Arbeitssicherheit dienen: Unsere Marken Actemium und Axians haben dazu etwa eine „Smart Safety“-Lösung entwickelt, mit der Mitarbeiter die Wartung von Industrieanlage üben können.

Zusammenarbeit fördern

Welche Vor- und Nachteile bieten neue Schulungskonzepte wie E-Learning und Digital Learning?

Meißner: Digital Learning wird leider sehr oft in einem Atemzug mit E-Learning verwendet. Ersteres umfasst für uns alle Maßnahmen, die dabei helfen, die digitale Transformation zu gestalten. E-Learning ist nur ein ganz kleiner Teil davon.

Den Vorteil des E-Learnings sehe ich vor allem darin, Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmt zu lernen. Und zwar genau das, was er will, wann er will und wo er will. Mittlerweile gibt es neben kostenpflichtigen Angeboten auch viele Anbieter, die ihre Inhalte frei zur Verfügung stellen. Das hört sich erst einmal gut an. Es gibt jedoch Themen, die sich durch E-Learning-Methoden nur eingeschränkt vermitteln lassen oder wo sie nur als ergänzendes Angebot sinnvoll sind. So zum Beispiel, um Präsenzschulungen vor- und nachzubereiten. Insgesamt muss sich hier noch einiges tun. Denn unternehmensinterne E-Learnings gehen leider oft an den eigentlichen Bedürfnissen vorbei und transportieren lediglich Themen, die abgehakt werden sollen. Darüber hinaus ist es für einige Mitarbeiter ungewohnt und vor allem bei freien E-Learnings kommen bei Vorgesetzten und Mitarbeitern Fragen auf wie: Darf ich das während der Arbeitszeit machen? Zahlt das auf meine aktuelle Tätigkeit ein? Solche Fragen müssen im Vorfeld geklärt werden.

Welche Schulungsmaßnahmen sind Ihrer Meinung nach unverzichtbar?

Meißner:In erster Linie ist die Frage zu klären, ob sich unbedingt die Art, wie wir zusammenarbeiten, ändern muss. Natürlich hat jeder für sich ein System gefunden, mit dem er zurechtkommt und in der Vergangenheit erfolgreich war. Doch in einer in Zeit, in der die Innovationszyklen kürzer werden und verstärkt in übergreifenden Netzwerken gearbeitet wird, stoßen alte Arbeitsweisen und Kommunikationsmittel häufig an Ihre Grenzen. Etwas, das bisher funktionierte, führt heute zu langen Suchzeiten, Missverständnissen und Fehlern.

Doch auch neue Arbeitsweisen sind nicht immer für die jeweilige Aufgabe geeignet. Daher sollte nicht alles Neue unreflektiert übernommen werden. Wenn es aber dabei hilft, weniger Fehler zu machen und die Zusammenarbeit zu verbessern, spricht doch nichts gegen einen Versuch. Auch, wenn es nicht sofort reibungslos klappt und zu Beginn auch Fehler gemacht werden. Das ist aber normal und sollte nicht abschrecken. Wer weiterhin Bäume fällt, ohne die Säge zu schärfen, kommt irgendwann nicht mehr mit. Deshalb sollten wir mit Themen beginnen, die die Zusammenarbeit verbessern. Dafür gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Angeboten.

Bei Vinci Energies arbeiten wir mit Office 365. Es reicht jedoch nicht, nur die Tools zur Verfügung zu stellen. Es muss an praktischen lebensnahen Beispielen gezeigt werden, welchen individuellen Vorteil jeder Mitarbeiter von einer bestimmten Lösung hat. Und genau das machen wir in Trainings, Workshops und Reverse Mentorings. Zukünftig wäre es schön, wenn wir ein Netzwerk an Digitalen Talenten aufbauen könnten, die in jeder Business Unit als Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung stehen.

Unser Interviewpartner

Moritz Meißner ist ehemaliger Bundeswehroffizier, Diplom-Kaufmann und M. A. Wirtschaftspsychologie. Seit 2015 arbeitet er bei Vinci Energies Deutschland und ist Fachbereichsleiter Digital Learning und stellvertretender Leiter der Vinci Energies Akademie in Deutschland. Seine zentralen Themen sind die Digitale Transformation und New Work. Hier legt er sein Augenmerk vor allem darauf, Mitarbeiter auf die Herausforderung von morgen bestmöglich vorzubereiten. Darüber hinaus arbeitet er in nationalen und internationalen Arbeitsgruppen an der Konzeption und Umsetzung strategischer Themen.

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