Interview: Trends in Industrie 4.0
„Trends immer in ihren Wechselwirkungen sehen“
Automatisierung, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Visual Computing – wie lassen sich diese Trendthemen richtig einordnen? Und wie lassen sich alte Maschinen in Produktionsnetzwerke einbinden? Darüber sprach Andrea Gillhuber mit Mario Klug, Senior Manager Product Marketing Boards bei Rutronik.
Automatisierung und Digitalisierung werden häufig gleichgesetzt. Wo genau liegen die Unterschiede?
Automatisierung bedeutet im Prinzip das Ausrüsten einer Einrichtung oder Anlage – ob bestehend oder neu aufgebaut – mit dem Ziel, Produktionsprozesse ganz oder teilweise ohne Mitwirkung des Menschen abarbeiten zu können. Das hat aber noch nicht unbedingt etwas mit Digitalisierung zu tun. Als Beispiel: 1745 wurde die erste, sich selbst in den Wind drehenden Windmühle errichtet – das ist eine Automatisierung der eigentlichen Windmühle. Automatisierung gibt es also schon sehr lange. Die Digitalisierung ist wiederum ein sehr weiter Begriff, der erst einmal nicht zwingend etwas mit Automatisierung zu tun hat. Wird eine mechanische Automatisierung über Daten überwachbar und steuerbar gemacht, dann spricht man von Digitalisierung; die Entwicklung von analogen Kameras hin zu den heutigen digitalen Kameras kann hier als Beispiel genommen werden. In der Industrieautomatisierung bedeutet die Digitalisierung jedoch, die Wandlung analoger Daten in digitale Daten und die darauffolgende elektronische Datenverarbeitung zur Speicherung, Auswertung und Anbindung von Folgeprozessen.
Also steigt mit dem Automatisierungsgrad nicht unbedingt der Digitalisierungsgrad?
Nicht zwangsweise, man kann einfache Prozesse, für die man keine Datenverarbeitung benötigt, noch immer auch analog automatisieren. So können über analoge Pneumatik-Steuerungen mit mechanischen Schaltern und Hall-Sensoren ganze Förderanlagen automatisiert werden, ohne dass ein PC daran angeschlossen ist. Allerdings sinkt mit der Digitalisierung eines solchen Aufbaus die Total Cost of Ownership, da der Wartungsaufwand sinkt und mögliche Defekte an einzelnen Komponenten einfacher zu detektieren sind. Außerdem sind berührungslose Sensoriken, die digital an einer übergeordneten Steuerung angebunden sind, deutlich weniger wartungsanfällig und ein späterer Ausbau einer solchen Anlage ist einfacher zu realisieren.
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Industrie 4.0 setzt voraus, dass alle Teilnehmer kommunizieren können. In Produktionsunternehmen sind aber auch Maschinen, die noch nicht in einem Netzwerk angeschlossen sind. Wie kann die Embedded-Technologie hier helfen?
Moderne Anlagen verfügen meist über eine digitale Steuerung lassen sich einfach über Steckkarten oder Gateways in ein Netzwerk einbinden. Diese Anlagen lassen sich auch leichter mit zusätzlicher Sensorik erweitern und in Fertigungskonzepte einbinden. Wichtig dabei ist nur, das industrielle Kommunikationsprotokoll einzuhalten.
Eine teilautomatisierte NC-gesteuerte Anlage, die nach zehn bis 15 Jahren Laufzeit an eine Datenverarbeitung angebunden werden soll, zog schon vor Jahren oftmals den Wechsel der Steuerung hin zu einer moderneren CN-Steuerung, meist gefolgt von einem Wechsel auch anderer Komponenten, wie Motorsteuerungen und Motoren oder Sensoren mit sich. Es sollte genau geprüft werden, ob Aufwand, Kosten und Nutzen in Relation stehen.
Aber könnten numerisch gesteuerte Maschinen überhaupt ins Netzwerk eingebunden werden? Denn es gibt noch Fertigung, in denen solche Maschinen noch produzieren.
Eine NC-gesteuerte Anlage in ein Netzwerk einzubinden ist fast ausgeschlossen oder mit einem hohen finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwand verbunden. Früher wurden Produktionsdaten meist noch per Floppy-Disc an die Maschine übertragen, daher verfügen die wenigsten Anlagen über eine Netzwerkschnittstelle. Ein weiteres Problem ist, dass die Daten der Maschine erst in ein passendes Datenformat übersetzt werden müssen. Auch früher war diese Datendivergenz schon ein Problem und führte übrigens zur Entwicklung der sogenannten Feld- und Industriebusse wie Ethercat und Profinet. Eine solche Anlagen-Revision war und ist oft kostspielig, daher sollte vorher genau geprüft werden, ob der Aufwand und die Kosten auch mit einer Produktivitätssteigerung amortisierbar ist oder ob man das Geld nicht doch besser nutzt, um eine neue Maschine zu kaufen.
Ab welchem Baujahr lohnt sich dann eine Anlagen-Revision?
Das lässt sich pauschal nicht sagen und ist von Fall zu Fall zu unterscheiden. Anlagen mit computerbasierten Steuerungen, die über gewisse Grundfunktionen verfügen, lassen sich leichter anbinden. Bei manchen Herstellern wird diese über Software abgebildet. Das heißt, auf dem Steuerungs-PC läuft die Emulation der vorherigen Controller. Aber auch hier stellt sich wieder die Frage nach den Schnittstellen. Hinzu kommt, dass die verbauten Motoren zum Teil über eine Controller-Steuerkarte kommuniziert haben, welche die neue PC-Steuerung gar nicht adaptieren kann, da unter anderem die Schnittstelle fehlt. Hinzu kommt, dass die heutigen Entwickler die alten Programmiersprachen nicht mehr kennen.
Wie sollten Fertigungsunternehmen vorgehen, wenn sie mithilfe von Embedded-Technologien ihre Produktion modernisieren möchten?
Als erster Schritt müssen die Ziele und die dafür benötigten Budgets definiert werden, sodass man daraufhin, je nach Branche, einen Dienstleister mit der Konzeption beauftragt. Es gibt beispielsweise Automatisierungsdienstleister, die sich um die Netzwerkanbindung kümmern – welche Maschinen kommuniziert wie mit welcher Maschine. Und egal, welche Neuanschaffung ich heutzutage in der Produktion tätige, sollte generell eine digitale Anbindung der Maschinen und Anlagen von vornherein mit in die Planung aufgenommen werden. Die Mehrkosten durch den Schnittstellenpreis spielen in diesem Investitionsrahmen keine signifikante Rolle mehr, wohingegen eine spätere Nachrüstung mit den bereits beschriebenen Problemen meist kostspieliger ist. Eine Netzwerkschnittstelle muss gegeben sein, sei es per Funk, um wirklich große Distanzen zu überbrücken, oder per Ethernet-Schnittstelle.
Reicht es, an eine Maschine einen (Wireless-)Router anzuschließen oder sollte gleich ein dezentraler Industrie-PC mitinstalliert werden, zum Beispiel für eine Datenvorverarbeitung?
Der Router macht nichts anderes, als das Signal weiterzuleiten – wireless oder kabelgebunden. Die Frage ist daher: Was möchte der Betreiber mit den Daten machen? Es gibt heute IoT-Gateways mit Sensoreingängen, die in der Produktion anfallende Daten mittels der auf dem Router befindlichen Software vorqualifizieren können und „on demand“ gebündelt an ein übergeordnetes System weiterleiten können. Das ist wichtig, denn in der Produktion werden weltweit mehrere Tera-Byte an Daten generiert. Werden diese einfach nur digitalisiert und in die Cloud geschoben, hätten wir global nicht die nötige Bandbreite, um die Datenflut zu bewältigen.
Allerdings fehlt dann in so einem Konzept wiederum der Eingriff in die Maschinensteuerung, um auf Parameter automatisiert reagieren zu können. Eine nach heutigen Gesichtspunkten moderne Produktionsanlage ermöglicht es, aufgrund der in Echtzeit ermittelten Parameter, die Produktion zu steuern, die Parameter zur QM-Dokumentation zu speichern und über die verbaute Sensorik mögliche Anlagenausfälle oder benötigte Wartungen vorauszu- sagen.
Wer ist Ihrer Meinung nach dafür zuständig?
Die intelligente Verbindung von Sensoren, Aktuatoren, visuellen Inspektionslösungen und künstlicher Intelligenz, zum Beispiel für antrainierte Parameter, über die mögliche Ausfälle vorhergesagt werden können, stellen die Königsdisziplin dar und kann nur von den Herstellern der jeweiligen Maschinen und Anlagen umfänglich realisiert werden. Hierzu ist vor Allem die Erfahrung der Hersteller in ihrer Kernkompetenz, dem jeweiligen Fertigungsprozess, den eine solche Anlage abbildet, von entscheidender Bedeutung. Mit einer stärkeren Vernetzung wandelt sich auch die generelle IT-Infrastruktur in der Anwendung, hierzu gibt es bereits Lösungen, Produktionsprozesse direkt an ERP-Systeme anzubinden und Produktionsdaten somit in Echtzeit zur weiteren Planung von nachgelagerten Prozessen, wie zum Beispiel der Logistik oder der Beschaffung nutzen zu können.
Thema Daten: Welche Rolle spielt die DSGVO in der Fabrikhalle?
Die DSGVO behandelt in der aktuellen Form personenbezogene Daten, sodass grundsätzlich zu klären ist, ob in den Fertigungsaufträgen, die im Produktionsnetz genutzt und ausgetauscht werden, derartige Datensätze, sprich: Adressdaten und Ansprechpartner, enthalten sind. Wenn hier zum Beispiel nur Auftrags- und Fertigungsnummern übermittelt werden, tritt die DSGVO erst wieder im Auftragsmanagement im nachgeschalteten ERP-System ein. Dies obliegt jedoch von vornherein den gesetzlichen Bestimmungen. Etwas anders verhält es sich, wenn über die Auswertungen der Maschinen- und Anlagendaten Rückschlüsse auf die einzelnen Anlagenbediener getroffen werden können. Diese gilt es innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen zu schützen, sodass ein Anlagenhersteller keine personenbezogenen Daten über den Anlagenbediener erhalten kann. Hier hilft zum Beispiel die Anonymisierung, Rückschlüsse auf einzelne Personen von Dritten, wie dem Maschinenhersteller zu unterbinden.
Allerdings kann man den Maschinenbediener überwachen. Ein Beispiel: Im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten drei verschiedene Bediener an einer Maschine. Der Anlagenbetreiber hat die Möglichkeit, diese zu überwachen: Wieviel Stückzahlen werden pro Schicht gefertigt, welche Eingaben wurden gemacht, wie schnell arbeiten die verschiedenen Mitarbeiter? Die Daten können intern zur Leistungsanalyse herangezogen werden. Verhindert werden muss aber unbedingt, dass der Anlagenhersteller, dem die Daten beispielsweise für Predictive Maintenance zur Verfügung gestellt werden, über die Auswertungen der Maschinen- und Anlagendaten Rückschlüsse auf die einzelnen Anlagenbediener treffen kann.
Predictive Maintenance, künstliche Intelligenz, Visual Computing, Digital Asset Management sind alles Trendthemen. Welche der Technologien sind in der Produktion wirklich sinnvoll einzusetzen und bei welcher überstrahlt der Schein den konkreten Nutzen?
Predictive Maintenance ist ohne Artificial Intelligence nicht nutzbar, da die für die Wartungsvorhersage notwendigen Maschinenparameter durch künstliche Intelligenz erst sinnvoll nutzbar gemacht werden können. Ein Beispiel: Früher berechneten Hersteller die sogenannte Mean Time Between Failures (MTBF). Hier wurde die durchschnittliche Zeit zwischen zwei Ausfällen einer Komponente berechnet. In der Regel wurde kurz vor der MTBF ein Ersatz für das von Ausfall bedrohte Bauteil besorgt, um auf der sicheren Seite zu sein und im Fall der Fälle die Stillstandzeiten zu gering wie möglich zu halten. Heute werden bereits in der Maschinenentwicklung Messungen und Tests durchgeführt, um den Ausfall von Komponenten und Maschinen zu simulieren. Im Anschluss werden Muster und Algorithmen programmiert und hinterlegt, welche auf den Ausfall einer Komponente hinweisen. Erkennt die Steuerung in der laufenden Produktion eines dieser Muster, zum Beispiel eine Vibration einer Komponente, gibt sie eine Warnmeldung heraus, dass das Bauteil in absehbarer Zeit ausfallen wird.
Das Digital Asset Management wiederum geht mit der Predictive Maintenance Hand in Hand und wird vor allem dann benötigt, wenn die genutzten Maschinen und Anlagen mittels zusätzlichen Services on Demand um Funktionen erweitert werden sollen.
Somit bleibt mir zu sagen, dass die von Ihnen genannten Trendthemen immer in ihren Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zu sehen sind und keines nur eine Hülle ohne Inhalt darstellt. Die Zukunft wird spannend und die Herausforderungen an heutige Produktionsplaner steigt mit der Digitalisierung. Die sogenannten Digitalen Champions, die sich bereits bei der Planung einer Fertigung auf die neuen Technologien einlassen und sie flächendeckend zum Einsatz bringen, werden die Messlatte für alle Marktbegleiter höher legen.