Interview mit Andy Middleton

"Ergänzung, nicht Alternative“

„Wir haben wieder einmal den 3D-Druck neu erfunden“ - Selbstbewusst präsentiert sich Andy Middleton, President EMEA des US-Amerikanischen Unternehmens Stratasys. Mit seinem neuen Flaggschiff J750 können Anwender eine breite Palette verschiedener Materialien mit einem Farbspektrum aus 360.000 Tönen zu einem Prototypen verbinden. Welche Eigenschaften der 3D-Drucker noch hat und welche Wachstumsmärkte Middleton für den 3D-Druck sieht, erfuhr SCOPE-Chefredakteur Hajo Stotz.

SCOPE: Herr Middleton, das Thema 3D-Druck nimmt in der deutschen Industrie mächtig Fahrt auf. Stratasys ist ein US-Unternehmen mit starkem Standbein in Deutschland und Israel – wenn Sie die drei Länder vergleichen, wo tut sich am meisten in Sachen 3D-Druck?

Andy Middleton:
Die Stratasys Polyjet-Technologie ist aus der Tintenstrahl-Technologie entstanden. Hier war und ist Israel in der Forschung und Entwicklung führend. Stratasys entwickelt und fertigt in diesem Bereich nach wie vor in Israel. Die USA ist Mutterland des 3D-Drucks, hier ist die FDM-Technologie eine der wichtigsten Technologien. In Europa und speziell Deutschland spielt neben Kunststoffen auch Metall eine wichtige Rolle. Dennoch sehen wir auch hier, dass Kunststoff durch sein hohes Entwicklungspotenzial zunehmend als sinnvolle Alternative für Metalle in Frage kommt – das revolutioniert die Denkweise der Unternehmen. Als Entwickler von Maschinen und Materialien nehmen wir die Ergebnisse und Erfahrungen aus allen Ländern wahr und lassen sie in unsere eigene Forschung und Entwicklung einfließen.

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SCOPE: 3D-Druck ermöglicht neue Konstruktions- und Fertigungsansätze der Produkte. Wo sehen Sie die stärksten Wachstumsmärkte für 3D-Druck?

Middleton: 3D-Druck ist eine Herstellungsmethode, die immer wichtiger wird, und zwar als Ergänzung klassischer Fertigung und nicht als Alternative. Ich sehe hier ein riesiges Potenzial in so gut wie allen Branchen – keine wird unberührt bleiben. Rapid Prototyping, wo aktuell noch der Schwerpunkt liegt, und Additive Fertigung werden sich stark weiterentwickeln. Denn der 3D-Druck hat viele Vorteile: Designfreiheit, eine höhere Wirtschaftlichkeit von Produktionsverfahren, eine höhere Funktionalität der Teile, die Individualisierung von Produkten, neue Logistik- und Vertriebsmodelle sowie entsprechende Kosten- und Zeiteinsparungen und kürzere Markteinführungszeiten. Kein Unternehmen kann es sich leisten, diese Wettbewerbsvorteile nicht zu nutzen. Nehmen wir zum Beispiel die Automobilindustrie, die auf der Suche nach Alternativen zum Spritzgussverfahren ist. Bereits heute wird über persönlich angepasste Innenräume von Autos gesprochen – das ist ohne Additive Fertigung gar nicht zu stemmen. Das Gleiche gilt für die Konsumgüterbranche: Denken Sie an individuell angepasste Hörgeräte oder Kopfhörer. Schon heute gibt es allerdings Industriezweige, die stark auf die Additive Fertigung setzen. Im Flugzeugbau gehört 3D-Druck inzwischen zum guten Standard, weil manche Werkstücke so um bis zu 50 Prozent leichter werden. Auch in der Medizintechnik setzt man darauf, zum Beispiel werden künstliche Hüftgelenke heute schon zu Zehntausenden durch 3D-Druck hergestellt. Auch viele Zahnlabore setzen auf 3D-Druck.

SCOPE: Und welche Branchen sind für Stratasys die wichtigsten?

Middleton: Stratasys bedient alle Branchen, denn 3D-Druck wird für immer mehr Branchen interessant. Momentan sind vor allem die Automobilbranche, Luft- und Raumfahrt, die Fertigungsindustrie, Maschinenbau (Engineering) und das Bildungswesen hervorzuheben. 70 Prozent nutzen den 3D-Druck aktuell noch vor allem im Rapid Prototyping, doch die Additive Fertigung ist stark im Kommen. Sie revolutioniert die Fertigungsprozesse bereits in vielen Unternehmen, zum Beispiel bei Airbus, und birgt noch ein gewaltiges Potenzial, das keine Branche ausschließt. Das heißt, die Entwicklung geht immer mehr in Richtung Additiver Fertigung, im Moment liegt der Fokus aber noch ganz klar auf dem Bereich Prototyping. Unser Ziel ist es, auch diesen Bereich weiter auszubauen, und das branchenübergreifend. Das Potenzial ist da.

SCOPE: Stratasys berichtet von erheblichen Kosteneinsparungen durch den Einsatz von 3D-Druckern, etwa bei dem Autobauer Opel, der seine Werkzeugkosten um bis zu 90 Prozent senken konnte. Wie ist das möglich?

Middleton: Konkret ging es hier um Sonderwerkzeuge für die Montage des Opel Adam. Sie werden benötigt, um verschiedene Komponenten, wie zum Beispiel den Dachspoiler und den Schriftzug auf der hinteren Seite präzise anzubringen oder Scheiben und Schiebedach zu montieren. Hier konnte Opel durch die Additive Fertigung der Werkzeuge gleich drei Vorteile erzielen: Die Herstellung ist nicht nur sehr viel billiger als vorher und geht wesentlich schneller, sondern der Hersteller kann jetzt auch mit komplexeren Formen arbeiten und die Montagewerkzeuge unkompliziert an verschiedene Fahrzeugtypen anpassen.

SCOPE: Beim Einzug des 3D-Drucks in die Fertigung spielt auch der Kostenfaktor eine große Rolle – werden die Preise für die Drucker zukünftig sinken?

Middleton: Man muss hier klar unterscheiden zwischen den Druckern, die eher im Hobby-Bereich angesiedelt sind, zum Beispiel MakerBot, und den professionellen Systemen, die die Industrie einsetzt. Mir geht es hier um die Anlagen, die für Prototyping und Fertigung konzipiert sind. Ich glaube, dass in der Additiven Fertigung mittelfristig die Kosten für Material sinken, aber die Anlagen teurer werden; beim Prototyping dagegen werden die Anlagen günstiger. Warum? Additive Fertigung von Endprodukten ist für Unternehmen nur dann eine Option, wenn sie das gleiche oder weniger kostet als die klassische Fertigung, darum darf das Material nicht zu teuer werden. Gleichzeitig müssen die Anlagen größer, schneller und vor allem produktionssicher sein und darüber hinaus über Kontrollgeräte wie Kameras, Messgeräte oder Qualitätskontrollsysteme verfügen. Viele der Werkstücke, die additiv gefertigt werden, sind hochsensibel oder sicherheitsrelevant, zum Beispiel im Flugzeugbau. Beim Material läuft natürlich viel über die Menge: je mehr Abnahme, desto günstiger der Preis. Echte Wettbewerbsvorteile erzielt ein Unternehmen wie Airbus auch heute schon, indem es für das Airbus A350 XWB Flugzeugprogramm mehr als 1.000 Bauteile mit der 3D-Drucktechnologie FDM druckt. Erhebliche Gewichtsreduktionen im Vergleich zu herkömmlichen Komponenten, wie Aluminium oder Titan, sind dadurch möglich.

Beim Prototyping allerdings ist es so, dass viele verschiedene Kunststoffe zum Einsatz kommen – allein bei einer Fernbedienung sind es bis zu zehn verschiedene Materialien, die unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Das erfordert eine ausgesprochen hohe Materialqualität, vor allem, wenn in Zukunft noch leitfähige Materialien dazukommen.

SCOPE: 3D-Maschinen oder -Material – wo sehen Sie künftig den größeren Entwicklungsbedarf?

Middleton: Wir entwickeln permanent in beide Richtungen, das ist wichtig, um die Marktführerschaft auszubauen. Weiter verbesserte Materialeigenschaften sorgen dafür, dass eine größere Bandbreite von Teilen mit einer höheren Belastbarkeit in einer flexibleren Zusammensetzung möglich wird. Gleichzeitig wird die Baugeschwindigkeit schneller und die Präzision höher etc. Neue, heute vielleicht noch gar nicht denkbare Anwendungen werden sich daraus ergeben, dass sowohl Maschinen als auch die Materialien ein höheres Level erreichen, das im Zusammenspiel immer wieder neue Perspektiven eröffnet.

SCOPE: Stratasys konzentriert sich auf 3D-Druck in Kunststoffen. Werden wir mittelfristig auch eine Stratasys-Maschine erleben, die mit Metallen arbeiten kann?

Middleton: Ich möchte natürlich nichts ausschließen, aber aktuell sehen wir bei Kunststoffen das größere Entwicklungspotenzial. Noch vor fünf Jahren hatten wir eine Hitzebeständigkeit der Materialien von ca. 50°C, heute sind es bereits über 200°C, Tendenz steigend. Im Rahmen von Industrie 4.0 und angesichts knapper Ressourcen sind alle auf der Suche nach sogenannten Smart Materials. Die meisten Fortschritte werden im Moment mit Polymer-basierten Materialien gemacht. Kunststoffe kann man mischen und so neue Materialien erzeugen. Metall wird heute noch in vielen Unternehmen eingesetzt. Aktuell geht der Trend aber immer weiter in Richtung der Alternative Kunststoff. Die Aerospace-Industrie zum Beispiel setzt seit Jahren schon Alternativen zu Aluminium oder Titan ein und ist dabei auf einem sehr guten Weg. Ich glaube, wir sind mit der FDM- und PolyJet-Technologie gut für zukünftige Entwicklungen und die Anforderungen des Marktes aufgestellt.

SCOPE: Stratasys hat Anfang April einen neuen 3D-Drucker vorgestellt, der Teile kombiniert aus verschiedenen Materialien und Farben herstellen kann. Damit lassen sich ganze Produkte, wie etwa ein Turnschuh, aus unterschiedlichen Kunststoffen komplett fertigen. Wird die Vision „Übers Internet bestellen, über Nacht selbst produzieren“ für den Endverbraucher greifbar?

Middleton: Das wäre schön, aber so weit sind wir noch nicht. Bei dem J750, unserem neuen Flaggschiff, reden wir über ein professionelles System, das Nutzern ermöglicht, eine breite Palette verschiedener Materialien – von steif bis flexibel, von transparent bis undurchsichtig – mit einem bisher unerreichten Farbspektrum aus 360.000 verschiedenen Tönen zu kombinieren und sehr realistische Prototypen in nur einem einzigen Durchgang auszudrucken. Damit werden Entwicklungs- und Markteinführungszeiten erheblich verkürzt. Der J750 ist mit diesen Eigenschaften einzigartig auf dem Markt. Bis wir allerdings soweit sind, dass über Nacht im Keller der neue Joggingschuh ausgedruckt werden kann, wird noch eine ganze Weile vergehen – das ist auch nicht unser Fokus. Wir setzen auch in Zukunft auf professionelle 3D-Drucktechnologien.

SCOPE: Ist die Maschine auch für die Serienkonstruktion, etwa für Turnschuhe, geeignet? Wie lange dauert die Herstellung des Schuhs?

Middleton: Zuerst einmal vereinfacht und beschleunigt der J750 die Entwicklungsphase dramatisch. Bereits wenige Stunden nach dem ersten Konzeptentwurf können Produktentwicklungsteams eine realistische Einschätzung des fertigen Prototypen in Bezug auf Aussehen und Funktionalität bekommen und bei Bedarf Optimierungen unmittelbar umsetzen. Das ist für eine ganze Reihe von Branchen, von fertigenden Betrieben bis hin zu Dienstleistern, sehr interessant. Um den von Ihnen angesprochenen Prototypen eines Schuhs auszudrucken, braucht der J750 nur wenigeStunden. Mit dieser Geschwindigkeit und der Qualität, die er liefert, ist er wesentlich schneller als andere Produkte am Markt.

SCOPE: Bei der neuen Maschine ist die sogenannte Shore-A-Härte des Materials wählbar – welche Möglichkeiten ergeben sich daraus? Ist die Maschine damit zum Beispiel auch für die Herstellung von Werkzeugen geeignet?

Middleton: Bei wählbarer Härte geht es um die Simulation von Shore-Härtegraden. Wir können gummiartige Bauteile und Bauteilbereiche in verschiedenen Gummimischungen darstellen. In erster Linie geht es um Prototypen, um haptische Eindrücke. Es werden aber auch bei Hilfswerkzeugen, wie z. B. Lehren und Vorrichtungen, bestimmte Bereiche mit einer Gummischicht versehen, um empfindliche Bauteilbereiche, z. B. lackierte Bereiche, vor Kratzern zu schützen. Auch Vakuum-Sauggreifer werden so gefertigt. Diese Gummimischungen können auch in verschiedenen Farben realisiert werden.

SCOPE: Stratasys stellt über den Partner Alphacam auch auf der Hannover Messe aus – wird die neue Maschine dort auch zu sehen sein?

Middleton: Ja, wir präsentieren gemeinsam mit unserem langjährigen Partner Alphacam den J750 in Hannover erstmals auf einer deutschen Messe live. Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Auftritt einiges an Aufsehen erregen werden. Denn wieder einmal haben wir den 3D-Druck neu erfunden.

HMI, Halle 7, Stand A27

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