KI + Datenanalyse
360°-Projektmanagement in Echtzeit
Achim Müller, Bremen
Mit der Forderung nach immer mehr Produktinnovation in immer weniger Zeit rückt die Frage in den Vordergrund, wie der Produktentstehungsprozess systematisch und zielsicher organisiert werden kann. Ein Baustein dafür ist systematisches Projektmanagement. Allerdings stellt der Innovationsprozess besondere Anforderungen, die klassisches Projektmanagement allein nicht erfüllen kann.
Traditionelle Projektmanagement-Methoden und -Werkzeuge fokussieren primär auf die administrativen Prozesse im Projekt: Initiieren, Planen, Steuern und Überwachen. Die eigentliche Projektarbeit, also die unmittelbar wertschöpfenden Tätigkeiten zur Realisierung eines Vorhabens, bleibt in der Regel außen vor. In klassischen Bauprojekten mag das noch angemessen sein; bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, in denen auch die Arbeit am Projektgegenstand selbst überwiegend Kopfarbeit ist, die gewisse Freiräume zur Entfaltung von Kreativität erfordert, ist eine strikte Trennung zwischen Management- und Engineering-Prozessen alles andere als zielführend.
Themen im Artikel
Die Produktentwicklung ist je nach Innovationsgrad ein mehr oder weniger kreativer, hoch dynamischer Prozess, bei dem man sich schrittweise der endgültigen Lösung nähert. Der Prozess ist geprägt durch häufige Änderungen und Korrekturen, Versuch und Irrtum, manchmal auch Vortasten in gänzlich unbekanntes Terrain. Auch ein hohes Maß an Parallelität und sich bisweilen im Laufe des Projekts noch ändernde Anforderungen lassen sich oft feststellen. In diesem Umfeld können nicht alle Arbeitsabläufe vorab bis ins Detail geplant werden. Und mit einem rein quantitativen Projektcontrolling unter Berücksichtigung von Terminen und Kosten, aber ohne genaue Kenntnis des Umfangs beziehungsweise der Qualität der bereits erbrachten Leistung im Hinblick auf das vorgegebene Ziel, lässt sich auch der aktuelle Status eines Projekts nicht ermitteln. Zeit und Kosten laufen von alleine – und zwar unerbittlich vorwärts. Wie aber kann man die Frage nach der Qualität, dem dritten Faktor des „Magischen Dreiecks“ des Projektmanagements, in F&E-Projekten systematisch beantworten?
Auf die Arbeitsergebnisse kommt es an
Der Fokus auf die Erreichung inhaltlicher Etappenziele ist ein anerkanntes Konzept im Projektmanagement, das sich mehr und mehr durchsetzt (vgl. DIN 69901, PMBOK, V-Modell, APQP). Im Mittelpunkt stehen dabei die erwarteten und erzielten Ergebnisse der Projektarbeit, die so genannten „Lieferobjekte“ (Deliverables, Arbeitsergebnisse). Während jedoch in klassischen Bauprojekten die zu liefernden (physischen) Objekte bereits zu Anfang bis ins kleinste Detail definiert sind, ist die Anzahl und der genaue Umfang der Lieferobjekte beim Start eines Entwicklungsprojekts in der Regel nicht bekannt – man denke nur an die oft tief verschachtelte Produktstruktur. Und die wenigen, bereits fest vorgegeben, Lieferobjekte sind zumeist nur grob umrissen.
Hauptaufgabe eines Entwicklungsprojekts ist ja gerade die Festlegung und inhaltliche Präzisierung der einzelnen Lieferobjekte. Mit anderen Worten: Was für ein Bauprojekt der Input ist, nämlich eine exakte „Blaupause“ der zu realisierenden Lösung, ist in einem Entwicklungsprojekt der Output! Die Arbeit in einem solchen Projekt ist überwiegend Kopfarbeit, die gewisse Freiräume zur Entfaltung von Kreativität erfordert. Erwartet werden hier in erster Linie Arbeitsergebnisse in digitaler Form, die den Gegenstand des Projekts – das aufwachsende virtuelle Produkt – mit der Zeit immer präziser und vollständiger beschreiben: Geometriemodelle, Funktionsmodelle, Zeichnungen, Schaltpläne, Software-Bausteine, Produktstrukturen, Stücklisten, Prüfpläne et cetera. Die physische Absicherung der entstehenden digitalen Blaupause ist dabei nur Mittel zum Zweck. Eine systematische Vorgabe von erwarteten Lieferobjekten muss sich also in F&E-Projekten im Wesentlichen auf die sukzessiv zu liefernden digitalen Arbeitsergebnisse konzentrieren. Diese lassen sich – wenn auch nicht in Anzahl und Inhalt – zumindest hinsichtlich ihrer Typen und Bewertungskriterien vorab festlegen.
Systematik auch in kreativen Prozessen
Der Projektfortschritt auf einer Baustelle lässt sich noch relativ leicht von allen beteiligten Fachleuten – Bauherrn, Architekten, Bauleiter, Bauausführenden – beobachten und überprüfen, während sich in der Welt der virtuellen Produktentstehung leicht ganz unterschiedliche Wahrnehmungen des Reifegrads des aufwachsenden Produkts und seiner Komponenten ergeben können.
Deshalb ist ein radikaler Wechsel der Sichtweise und Methodik notwendig. Insbesondere in innovativen F&E-Projekten sind Projektmanagement und Projektrealisierung ganzheitlich zu betrachten. Das bedeutet für das Management eine Abkehr von der einseitigen Fokussierung auf Planung, Termin- und Kostenkontrolle und stattdessen eine stärkere Konzentration auf die eigentliche Projektarbeit, also die unmittelbar wertschöpfenden Tätigkeiten zur Realisierung eines Vorhabens.
Neue Methodik erforderlich
Dabei ist es hilfreich, das Prozessmanagement nicht mehr als isoliertes Aufgabenfeld der Projektleitung, sondern als integralen Bestandteil der Projektarbeit aller Teammitglieder aufzufassen!
Die Praxis zeigt, dass es selten gelingt, mangelnde Effizienz in der Projektabwicklung durch eine noch detailliertere zentrale Ablaufplanung und Überwachung zu beheben. Vielversprechender ist es, Verantwortung an die Mitarbeiter zu delegieren, ausreichend Freiräume zu lassen und quasi als Gegenleistung die Mitarbeit auch bei Managementaufgaben einzufordern. Ein gemeinsames, kollaboratives Management unter Einbeziehung der Projektingenieure erhöht nicht zuletzt auch die Flexibilität gegenüber Planabweichungen und Änderungen der Anforderungen in späten Phasen. Eine wesentliche Voraussetzung für dieses Vorgehen ist jedoch, dass alle Teammitglieder sowohl die Planvorgaben als auch den bereits erreichten Stand des Projekts genau kennen und berücksichtigen, was insbesondere in verteilten und interdisziplinären Entwicklungsvorhaben nicht ohne eine geeignete Werkzeugunterstützung umsetzbar ist. Da es in erster Linie darum geht, Soll-Vorgaben und Ist-Daten in Echtzeit zu verknüpfen und für alle Beteiligten transparent darzustellen, kommt nur eine gemeinsame Kollaborationsplattform für Engineering und Projektmanagement in Frage.
Zwei Seiten einer Medaille
In Entwicklungsprojekten spannen sich sowohl der Projektprozess als auch der Produktentstehungsprozess um das virtuelle Produkt. Was die Projektmanager schlicht als Arbeit und deren Ergebnis ansehen, ist für die Projektingenieure das reifende Produkt, beschrieben durch sukzessiv aufwachsende Produktdaten, ausgehend von ersten Ideen und Anforderungen bis hin zu freigegebenen Fertigungszeichnungen. In solchen Projekten sind deshalb Arbeitsorganisation (= Projektmanagement) und Organisation der Arbeitsergebnisse (= Produktdatenmanagement) zwei Seiten derselben Medaille!
Der Reifeprozess der Produktdaten entspricht unmittelbar dem Arbeitsfortschritt im Projekt, weshalb das qualitative, ergebnisbezogene Controlling hier einen sehr hohen, noch nicht gebührend beachteten Stellenwert bekommt. Methoden und Werkzeuge müssen darauf abgestellt sein, erwartete Arbeitsergebnisse beziehungsweise Zwischenergebnisse unmittelbar in der Arbeitsumgebung der Projektingenieure vorzugeben und ihre inhaltliche Lieferung kontinuierlich mitlaufend zu überwachen – online und in Echtzeit! Traditionelle Projektmanagement-Methoden betonen demgegenüber nach wie vor die strikte Trennung von Management- und Engineering-Prozessen. Sie sind immer noch eher am Bau beziehungsweise der Herstellung von materiellen Gütern orientiert und damit viel zu weit weg vom Gegenstand der virtuellen Produktentwicklung. Unter dem Begriff „Produktzentriertes Projektmanagement“ wurde vor einigen Jahren bereits ein ganzheitlicher, integrativer Ansatz von Projektmanagement in Verbindung mit Produktdaten- beziehungsweise Product Lifecycle Management propagiert [1], dieser Ansatz hat sich aber bis heute nicht in den gängigen Projektmanagement-Werkzeugen niedergeschlagen.
Leitstrukturen weisen den Weg
Die größte Herausforderung besteht darin, die richtige Balance zwischen der erforderlichen Kreativität und der notwendigen Systematik zu schaffen. Das Motto könnte lauten: „So viel Freiheit wie möglich, so viel Reglementierung wie nötig“, um einerseits den nötigen Freiraum für die Selbstorganisation der kreativen Arbeit zu gewähren, andererseits aber auch die inhaltlichen Vorgaben und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Produktentwicklungsvorhabens nicht aus den Augen zu verlieren.
Entwicklungsprojekte stellen aber auch noch in anderer Hinsicht besondere Anforderungen an das Projektmanagement. Zunehmende Variantenvielfalt und Prozesskomplexität, ein hochgradig dynami- sches Umfeld und nicht zuletzt die Arbeitsteilung über Unternehmen hinweg schaffen Rahmenbedingungen, die die Übersicht über das Projektgeschehen und damit auch seine zielsichere Abwicklung und Steuerung enorm erschweren.
Der integrative 360°-Projektmanagement-Ansatz der Contact Software GmbH aus Bremen fasst deshalb die Perspektiven Produkt (was?, mit welchen Komponenten?), Prozess (wie?, in welchen Schritten?) und Projekt (wann?, wer?, wie viel?) zusammen. Durch die intelligente Verknüpfung von Prozessperspektive, Produktsicht und den zu liefernden Arbeitsergebnissen wird ein Projektmanagement in Echtzeit ermöglicht, das die spezifischen Aufgaben der Projektleiter, Controller und Projektingenieure gleichermaßen unterstützt. Das Contact Project Office beinhaltet neben einer Grundstruktur für den Projektablauf mit Meilensteinen, Lieferobjekten inklusive Prüfkriterien, Checklisten und Quality Gates auch ein Grundgerüst für die aufwachsenden Produktdaten und unterstützt damit sowohl die administrative Projektarbeit wie auch die eigentliche Engineering-Arbeit entlang des Produktentstehungsprozesses. Die vorgegebenen (Leit-)Strukturen wirken gleichsam als „Leitplanken“; sie definieren die Ziele einzelner Etappen, ohne den Weg zu engmaschig festzulegen.
Neue Projekte lassen sich auf Basis von Vorlagen erstellen, die bereits alle vorgegebenen Leitstrukturen und Lieferobjekte für den jeweiligen Projekttyp mitbringen. So kann beispielsweise ein Lieferobjekt „Lastenheft“ mit Bewertungskriterien vorab definiert und sowohl in der Projekt- als auch in der Produktsicht als zu lieferndes Arbeitsergebnis dargestellt werden.
Darüber hinaus enthält Contact Project Office auch spezialisierte Werkzeuge für die klassischen Projektmanagement-Aufgaben wie Planung und Überwachung, darunter einen integrierten Termin- und Ressourcenplaner sowie ein Multiprojekt-Cockpit, das den Projektfortschritt mit Hilfe der Earned Value Analyse (EVA) ermittelt und darstellt.
Die EVA-Methode geeignet sich besonders gut, die erzielten Arbeitsergebnisse in die Ermittlung aussagekräftiger Projektampeln einzubeziehen, denn sie definiert ein einfaches Maß für den Wert der bereits geleisteten Arbeit, das gut mit Terminen und Kosten in Bezug gesetzt werden kann. Dafür ist jedoch eine Beurteilung der erzielten Arbeitsergebnisse unumgänglich. Die EVA-Methodik empfiehlt, sich dabei nicht auf die oft zu optimistischen Aussagen der Entwickler zu verlassen, sondern die inhaltliche Zielerreichung möglichst objektiv zu prüfen. Voraussetzung dafür ist eine hinreichend detaillierte Zerlegung der gesamten Projektaufgabe in einzelne Arbeitspakete mit vordefinierten und überprüfbaren Arbeitsergebnissen – genau, wie in Project Office vorgesehen. -sg-
Contact Software GmbH, Bremen, Tel. 0421/20153-0, http://www.contact.de
Literatur:
[1] M. Saynisch et al.: „Produktzentriertes Projektmanagement (PZPM)“, Schwerpunktthema in PMaktuell - Heft 4/2006, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V.