Denkende Produktionssysteme

Produktionstechnik der nächsten Generation

Bei der nächsten Generation der Produktionstechnik geht es um Produktionssysteme, die selbst denken können, ganz wie selbstfahrende Autos. Zvi Feuer, Senior Vice President, Digital Factory, Manufacturing Engineering, und Robert Meshel, Senior Strategist, Digital Factory, Manufacturing Engineering Software, beide Siemens PLM Software, werfen einen Blick in die nicht allzu ferne Zukunft.

"Schlussendlich werden wir in der nicht allzu fernen Zukunft folgendes sehen: Ein Produktionsbetrieb erhält ein digitales Modell eines neuen Produkts. Auf Basis der im Modell enthaltenen Informationen konfigurieren sich die Produktionsmittel passend für die Produktion des Produkts."

Erinnern Sie sich an Ihre Gefühle, als Sie zum ersten Mal vom selbstfahrenden Google-Auto gehört haben? Wenn Sie ähnlich gestrickt sind wie wir, hat sich ihre Reaktion wohl von „Interessant“ über „Naja, wenn’s überhaupt irgendwer kann, dann Google“ bis zu „Das wird tatsächlich kommen und ich werde es wahrscheinlich noch erleben“ entwickelt.

Zvi Feuer, Senior Vice President, Digital Factory, Manufacturing Engineering bei Siemens PLM Software.

Das Unternehmen ist für ein Produkt bekannt, das genau gar nichts mit Autos zu tun hat und hat dennoch unser kollektives Denken über Autos und deren Möglichkeiten verändert. Auch auf andere Branchen wie Netzwerktechnik oder Medizin versucht Google ähnlich einzuwirken. Das Unternehmen gestattet seinen Mitarbeitern, an ‚dreisten‘ Projekten zu arbeiten. Das scheint ein Kernelement der Unternehmensphilosophie zu sein.

Robert Meshel, Senior Strategist, Digital Factory, Manufacturing Engineering Software, bei Siemens PLM Software.

Wenn es um eine dreiste Vision der nächsten Generation der Produktionstechnik geht, ist Siemens ebenso innovativ. Um intelligenter produzieren zu lernen und unsere Kunden in die Zukunft der Produktion zu führen, investieren wir kräftig in unsere eigenen Produktionsmöglichkeiten – Software für die digitale Produktion, Automatisierungseinrichtungen und Kommunikationsprotokolle.

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Schlussendlich werden wir in der nicht allzu fernen Zukunft folgendes sehen: Ein Produktionsbetrieb erhält ein digitales Modell eines neuen Produkts. Auf Basis der im Modell enthaltenen Informationen konfigurieren sich die Produktionsmittel passend für die Produktion des Produkts.

Manche nennen dieses Szenario einen „selbstorganisierenden Produktionsprozess für hochgradig anpassbare Produkte.“ Dieser stellt ein globales Wiedererwachen der produzierenden Gewerbe dar und wird von staatlichen Förderungen, Marktmechanismen und Technologietrends vorangetrieben. In Deutschland heißt diese Bestrebung Industrie 4.0. Etwas Ähnliches ist die Smart Manufacturing Leadership Coalition in den USA.

Warum brauchen das Industrien und warum wird es von Regierungen gefördert? Aus Sicht der Sachgütererzeugung bietet die nächste Generation der Produktionstechnik eine Möglichkeit, in kürzer werdenden Zeitabständen Kundenforderungen nach neuen, qualitativ hochwertigen und kundenspezifisch angepassten Angeboten zu erfüllen. Zusätzlich kann sie den Ressourcenverbrauch reduzieren. Das hilft Produktionsbetrieben, den steigenden Kostendruck zu beherrschen.

Aus Sicht der Regierungen ist ein treibender Faktor der weiterhin hohe Bedarf an Produkten in den Schwellenländern. Im kürzlich in Time erschienenen Artikel GE Makes a Big Bet on Manufacturing wurde dies als Megatrend bezeichnet und so beschrieben: „… beginnt für die Volkswirtschaften der Schwellenländer eine Epoche, die große Ähnlichkeit mit der Nachkriegszeit in den USA aufweist. In diesen Ländern werden Häuser, Brücken, Straßen, Flughäfen und jede Art von Konsumgütern in nie da gewesenen Mengen benötigt.“

Länder wie die USA und Deutschland würden es bevorzugen, dass diese Produkte innerhalb ihrer Grenzen hergestellt werden, damit ihre Werktätigen und ihre Volkswirtschaften von einem Teil der jährlich 20 Billionen US-Dollar profitieren, die laut Schätzungen des McKinsey Global Institute auf diese Weise bis 2025 ausgegeben werden. Fabriken mit der Fähigkeit, autonom zu produzieren, werden Produkte rasch an die breite Palette von Präferenzen der Konsumenten in den Schwellenländern anpassen können.

Das Internet der Dinge

In diesem Artikel bezeichnen wir die Entwicklung in Richtung selbstorganisierender Produktionsprozesse als „autonome Produktion.“ Ein zentraler technologischer Megatrend als Motor der autonomen Produktion ist das Internet der Dinge (Internet of Things; IoT).

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet das IoT „Dinge“, etwa Thermostate, Blutzucker-Messgeräte, Autos mit Sensoren für die Kollisionserkennung, sogar Haustiere mit implantierten Chips, die Informationen über ihren Zustand zur intelligenten Nutzung via Internet an jemanden, besser gesagt an einen Computer, übermitteln.

Das IoT kann den Status Quo drastisch verändern. So ist zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer, dass Zuckerkranke ins Koma fallen, wenn sie eine Mitteilung über ihre zu niedrigen Blutzuckerwerte auf ihr Mobiltelefon erhalten. Ein entlaufenes Haustier bedeutet nicht länger banges Hoffen nach dem Ausdrucken und Plakatieren von Suchmeldungen. Der Aufenthaltsort des Haustiers lässt sich jederzeit auf dem Smartphone anzeigen.

Das IoT ist nicht auf Konsumprodukte beschränkt. Die Luftfahrtindustrie durchläuft zum Beispiel gerade eine IoT-basierte Revolution durch die Nutzung von Informationen, die von Sensoren in den Triebwerken generiert werden. Die Flugzeugmotorenhersteller haben dadurch Zugriff auf enorme Mengen von Daten über Triebwerke im Flug und nutzen diese zum Erkennen von Möglichkeiten, Treibstoff zu sparen und um während des Fluges auf Anomalien aufmerksam zu werden statt erst hinterher. Das verändert ganze Geschäftsmodelle. Rolls Royce und GE schließen bereits Nutzungsverträge auf Basis von Betriebsstunden statt Kaufverträge für Triebwerke ab.

Folgen des IoT für die autonome Produktion

Ermöglicht wurde das IoT durch massive technologische Durchbrüche bei Rechenleistung, Miniaturisierung drahtloser Sensoren, Hochleistungsnetzwerken und der Analyse riesiger Datenmengen. Ein weiteres wichtiges Element ist die Tatsache, dass die Kosten jeder dieser Technologien – nicht zuletzt durch die Verfügbarkeit von Cloud Computing – so stark gesunken sind, dass sie breit verwendet werden können.

Alle diese Technologien – Rechenleistung, miniaturisierte drahtlose Sensoren, Hochleistungsnetzwerke und die Massendatenanalyse – sind in der Produktion in einem gewissen Umfang bereits in Gebrauch. Es ist daher sinnvoll, nun auch industrielle Anwendungen des IoT zu sehen. Für diese gibt es sogar bereits einen Ausdruck: Das industrielle Internet der Dinge (Industrial Internet of Things; IIoT).

Die Anwendung des IIoT in Produktionsanlagen erlaubt uns, noch mehr Informationen über den Produktionsprozess als bisher zu gewinnen, obwohl Hersteller auch jetzt schon große Mengen an Produktionsdaten erfassen. Der durch das IIoT erschlossene umfangreichere Datenbestand wird uns im Endeffekt in Richtung einer autonomen Produktion führen, indem er das rasche Anpassen eines Produktionsmodells zur Berücksichtigung geänderter Bedingungen ermöglicht.

Im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis, bei der ein Produktionssystem zur Abarbeitung immer desselben Prozesses immer wieder von Neuem entwickelt und optimiert wird, werden Produktionssysteme in einem autonomen Produktionsszenario die Flexibilität aufweisen, sich für jeden Produktionsdurchlauf neu anzupassen und zu optimieren.

Nehmen wir als Beispiel Roboteranwendungen. Heute werden Roboter für spezifische Aufgaben programmiert. Solange bestimmte vordefinierte Umgebungsbedingungen herrschen, führt der Roboter die Aufgabe unverändert aus. In einer künftigen autonomen Produktion erhalten die Roboter Aufgaben und müssen ermitteln, wie diese optimal auszuführen sind. Theoretisch kann die Arbeit bei jedem Durchlauf unterschiedlich erledigt werden.

Gleiches gilt für Gesamtsysteme. In der Rahmen-Station eines Automobilmontagewerks beispielsweise, wo aus den Hauptteilen die komplette Karosserie entsteht, werden alle Teile vermessen werden und das System wird sich anpassen, um das Verheiraten der Komponenten optimal zu erledigen. Oder es wird jede Tür-Aussparung vermessen und das am besten passende Türblech für die jeweilige Karosserie ausgewählt (im Gegensatz zur bisher üblichen Just-in-Sequence-Methode).

Wo stehen wir aktuell?

Selbst mit der wachsenden Verbreitung des IIoT sind wir nicht an einem Punkt, an dem die autonome Produktion verbreitet oder alltäglich wäre, obwohl in einigen Anlagen manche Elemente davon bereits implementiert werden. Bereits weit verbreitet und alltäglich ist jedoch das solide Fundament für die autonome Produktion. In der Praxis zu sehen ist das in zahlreichen Anlagen, in denen die digitale Produktion bereits Realität ist.

Lösungen für die digitale Produktion statten Produktionsbetriebe mit enormen Möglichkeiten für die virtuelle Gestaltung und Überprüfung ihrer Prozesse aus. In einer digitalen Produktionsumgebung wie den Produktionsplanungs- und -Managementlösungen aus unserem Hause wird die physikalische Welt in einer modellgetriebenen Datenbank nachgebildet. Mithilfe digitaler Werkzeuge und Methoden wird das physikalische Produktionssystem samt seiner Steuerungslogik entwickelt.

Ergebnis ist ein vollständiges virtuelles Modell des Produktionsprozesses, das sich über unterschiedliche technische Disziplinen wie Werkzeugbau, Prozess, Logistik, Qualität und Produkt erstreckt. Digitale Simulationswerkzeuge ermöglichen Überprüfung und Optimierung der Prozesse, Werkzeuge und Steuerungsalgorithmen sowie die Interaktionen zwischen diesen – vollständig in einer virtuellen Umgebung, noch vor der Inbetriebnahme in der Werkshalle.

Über die digitale Produktion hinaus reicht die aus zusätzlichen technologischen Schichten zusammensetzte digitale Fabrik. Sie benötigt eine Infrastruktur zur Verbindung der Geräte, die Fähigkeit herauszufinden, wo Datenverbindungen legitim zur Wertschöpfung beitragen und nicht bloß lästig sind sowie Softwareplattformen zum Erschließen der Datenflut.

Siemens liefert bereits große Teile dieser Konzepte als Teil seines Portfolios „Digitale Fabrik“. Die darin enthaltenen Lösungen – nahtlos integrierte Hardware, Software und Dienstleistungen – stärken in vielen Unternehmen bereits heute die Flexibilität und Effizienz der Produktionsprozesse.

Um der digitalen Fabrik ihren gebührenden Platz auf dem Weg zur autonomen Produktion zu geben, wollen wir zunächst sehen, wie sie die Produktionsflexibilität – ein kritisches Element der autonomen Produktion – verbessern kann. In traditionellen Produktionslinien findet zwischen den Produktionsmodulen ein sequentieller Prozessablauf statt, bei dem jedes Modul eine fest zugewiesene und in einer vorgegebenen Abfolge zu erledigende Aufgabe hat.

Ermöglicht durch Lösungen für die digitale Fabrik, gestattet ein flexibler Prozessablauf zwischen den Produktionsmodulen das Konfigurieren verschiedener Module für jeden Produktionsfall. Ein solches Produktionssystem kommt besser mit Änderungen zurecht und ermöglicht eine größere Vielfalt bei Produktionsszenarien (Produktionsprogramm, Produktionsmenge) und des Produktspektrums.

Betrachten wir auch, wie Lösungen für die digitale Fabrik von Siemens die Effizienz erhöhen: Sie optimieren die Auslastung der Produktionsanlagen durch permanente Überwachung, Steuerung und Analyse der Produktionsumgebung und durch umgehend getroffene Entscheidungen. Sie können dies ebenso für materielle Werte wie Maschinen, Bestände oder Energieverbrauch tun wie für weniger materielle, zum Beispiel Durchlaufzeiten.

Die nächsten Schritte werden bereits gesetzt

Bis die autonome Produktion zur Realität wird, werden noch zusätzliche Technologien benötigt. Diese treffen allerdings regelmäßig ein. Beispielsweise stellten Siemens PLM Software und ihr Partner Bentley Systems kürzlich eine neue Punktewolken-Technologie vor. Sie ermöglicht das Festhalten der exakten Positionen von Produktions- und Logistikeinrichtungen in einer Werkshalle und gibt so nahezu in Echtzeit die tatsächlichen Verhältnisse in der Produktionsstätte wieder.

Scandaten der realen Betriebsmittelausstattung in Form von Punktwolken werden in der Simulationsumgebung mit virtuellen Daten zusammengeführt und sorgen für genauere, zeitgerechtere Analysen.

Scandaten der realen Betriebsmittelausstattung in Form von Punktwolken werden in der Simulationsumgebung mit virtuellen Daten zusammengeführt und sorgen für genauere, zeitgerechtere Analysen.

In der Vergangenheit mussten für diese Aufgabe viele Techniker mehrere Wochen lang Messungen und Scans an der Produktionsstätte durchführen. Durch den Entfall dieses Schritts wird die neue Technologie schnellere Modifikationen zulassen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die autonome Produktion.

Eine größere Rolle als grundlegendes Werkzeug zum Ermöglichen der autonomen Produktion wird auch die bereits verfügbare ereignisgesteuerte Simulation (discrete event simulation) spielen. Das deshalb, weil hinter der Flexibilität und Autonomie solcher Produktionsszenarien starre, vom System einzuhaltende Regeln stecken. Das selbstfahrende Fahrzeug ist ein gutes Beispiel. Ohne strenge Regeln würden solche Fahrzeuge verheerende Schäden anrichten. Die Herausforderung besteht darin, von Sollwertvorgaben zu variabler Planung zu kommen, bei der die Ergebnisse von veränderlichen Bedingungen in der Produktionsumgebung bestimmt werden.

Wir wissen bereits, dass die Produktion ein wesentlicher Motor für das Wirtschaftswachstum ist. Sie zieht Investitionen an, beflügelt Innovationen und schafft hochwertige Arbeitsplätze. All die Durchbrüche und Entwicklungen, die jetzt gerade passieren – die Bausteine der autonomen Produktion – erzeugen bereits jetzt einen wirtschaftlichen Mehrwert. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn die autonome Produktion erst alltäglich ist.

Sie bringt nicht nur höchstwahrscheinlich die von vielen vorhergesagte Wiederbelebung der Sachgüterindustrie. Wir sehen die autonome Produktion auch als Möglichkeit, viele globale Herausforderungen zu meistern, etwa Wachstum und Alterung der Bevölkerung, Klimawechsel und Resourcenknappheit.

Wir befinden uns tatsächlich in spannenden Zeiten und Siemens ist stolz darauf, zu den führenden Kräften zu gehören, welche die technologischen Entwicklungen treiben, um die autonome Produktion zur Realität werden zu lassen. Behalten Sie Siemens im Auge und beobachten Sie, wie wir in den kommenden Jahren nach und nach die Ergebnisse unserer eigenen „dreisten“ Projekte abliefern werden.

Mehr über die Gestaltung und Überprüfung von Prozessen in einer digitalen Produktionsumgebung lesen Sie in unserem White Paper „PLM for Manufacturing“.

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