Automatisierungstrends
Mehr Flexibilität bei kleineren Losgrößen
In sechs Messehallen präsentiert die Automatica vom 21. bis 24. Juni das nach eigenen Angaben weltweit größte Angebot an Robotik, industrieller Bildverarbeitung und vor allen Dingen moderner Montage- und Handhabungstechnik, auch Integrated Assembly Solutions genannt. SCOPE-Chefredakteur Hajo Stotz umreißt deren wichtigste Trends.
Montage- und Handhabungstechnik – eine Branchenbezeichnung, unter der sich jeder etwas vorstellen kann. Die ersten Handhabungswerkzeuge waren wahrscheinlich Äste und Stämme, mit deren Hebelwirkung unsere Urahnen schwere Steine oder Felsen bewegten. Mit der zunehmenden Automatisierung der Industrie begann dann der Höhenflug der Montage- und Handhabungstechnik, und für die erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 sind die Lösungen der Montage- und Handhabungstechnik unverzichtbare Voraussetzung.
Doch der Branche selbst war der Begriff vor vier Jahren nicht mehr sexy genug. Ein neuer Name musste her, da Montage und Handhabung nur ein kleiner Teil der Aktivitäten sei und der Name nicht erahnen lasse, welche Hightech-Produkte in dieser Branche entstehen, so der VDMA.
„Eine spannende Branche benötigt einen spannenden Namen“, begründete Gottfried Schumacher die 2012 erfolgte Umbenennung der VDMA-Fachabteilung in Integrated Assembly Solutions (IAS). Schumacher ist Vorsitzender der Fachabteilung und Leiter Produktmanagement Montagetechnik bei Bosch Rexroth. Hauptgrund jedoch ist der hohe Exportanteil der Branche: Der Anteil der Auslandsmärkte am Gesamtumsatz hat sich zwischen 2008 und 2012 zugunsten der Exporte von 38 Prozent auf fast 48 Prozent erhöht und dürfte 2016 erstmals größer sein als der Absatz auf dem Heimatmarkt.
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"Automation steht Kopf"
Flexibilisierung, Variantenzunahme, Internationalisierung, Industrie 4.0: Markus Werro, CEO der Afag-Gruppe, erläutert SCOPE-Chefredakteur Hajo Stotz, vor welchen Herausforderungen die Unternehmen im Bereich der Montage und Handhabungstechnik stehen.

2012 erreichte der Branchenumsatz 5,94 Milliarden Euro, 2015 wurden bereits 6,5 Milliarden umgesetzt, was laut IAS-Chef Schumacher 2016 nochmals getoppt werden soll. Insgesamt beschäftigt die deutsche IAS-Branche über 20.000 Mitarbeiter.
Auf der Roboter- und Automatisierungsmesse Automatica stellt die IAS den größten Bereich und präsentiert sich mit über 200 Ausstellern vom 21. bis 24. Juni in München. IAS-Anbieter zeigen sich dabei auch als Enabler für Industrie-4.0-Projekte. Wie sich der Megatrend Industrie 4.0 auf die Steigerung der Flexibilität auswirkt, erläutert etwa Schunk-Geschäftsführer Dr. Markus Klaiber: „Das Ziel aller Maßnahmen von Industrie 4.0 ist eine umfassende Flexibilisierung aller Produktionsprozesse bei maximaler Transparenz und Wirtschaftlichkeit. Für die Praxis heißt das: Industrie 4.0 muss flexible und adaptierbare Komponenten und Strukturen zur Verfügung stellen, die es ermöglichen, auch kleine Lose wirtschaftlich zu produzieren.“
Und Henrik A. Schunk, geschäftsführender Gesellschafter von Schunk, ergänzt dazu: „Zwei Trends werden die Leitmesse in diesem Jahr prägen: die zunehmende Digitali-sierung von Produktionsprozessen im Zuge der Industrie 4.0 und damit die Mechatronisierung von Montage- und Handhabungssys- temen sowie der Trend zur Mensch-Roboter-Kollaboration.“
In beiden Bereichen wird das Unternehmen aus dem baden-württembergischen Lauffen Impulse liefern. Dazu zählen die weltweit erste 24-V-Kompakt-Linearachse Schunk ELP mit Auto- Learn-Funktion und integrierter Steuerung, der neue Schunk PGN-plus-Elektrisch Universalgeifer sowie eine Reihe attraktiver Live-Applikationen zur Mensch-Roboter-Kollaboration. „Wir werden auf der Automatica zeigen, wie sich Mensch und Roboter künftig im Team ergänzen“, betont Schunk.
Einen Blick in die Zukunft der Anlagenplanung werfen kann der Besucher bei Teamtechnik. Datenbrille aufsetzen – und schon taucht man ein in eine neue Dimension des Sehens und Erlebens: Montage- und Prüfprozesse der automatisierten Produktion auf Anlagen und Plattformen von Teamtechnik werden unmittelbar in 3D erfahrbar und interaktiv steuerbar. Stefan Roßkopf, Geschäftsführer der Teamtechnik aus Freiberg am Neckar: „Wir gelten als Pionier für innovative Technologien und Impulsgeber für neue Automatisierungstrends“, erklärt er. „Zu unserer Vordenkerrolle passt eine Präsentation via Virtual Reality, die Anlagentechnologie in einer faszinierenden neuen Form erleben lässt.“ Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung und Herstellung flexibler Montage- und Funktionsprüfanlagen sowie die Programmierung der dazugehörigen Software.
Kürzere Produktlebenszyklen
Doch die Automatica beleuchtet nicht nur Software und Industrie 4.0, sondern natürlich auch klassische Montagesysteme und -anlagen, die ja immer noch den Löwenanteil des Umsatzes in der Praxis ausmachen. In der Montageautomation selbst setzt sich die bereits seit einigen Jahren bekannte Entwicklung hin zu kleineren Losgrößen, steigender Variantenvielfalt und kürzeren Produktlebenszyklen verstärkt fort. Was sich Fertiger hier wünschen: mehr Flexibilität in der Produktion.
So hat die IEF-Werner GmbH mit der manuellen Verstell- einheit Domiline ein Baukastensystem im Programm, mit welchem sich verschiedenste Varianten an flexiblen Vorrichtungen bauen lassen. Diese Vorrichtungen werden üblicherweise in Maschinen und Anlagen eingebaut, die oft umgerüstet werden: Messkameras müssen eingestellt, Brenndüsen fokussiert oder Sensoren verfahren werden. Mit einer neuen Bussschnittstelle werden die Verstelleinheiten jetzt mit der Fähigkeit ausgestattet, sich ihre eigene Position zu merken. Diese Funktionalität bietet neue Möglichkeiten. Um die Positionen schnell und effektiv einzustellen, muss der Bediener lediglich den Sollwert mit dem Istwert vergleichen. Beide Werte werden am LCD-Display angezeigt. „Die Domiline zusammen mit der elektronischen Busanzeige reduziert die Rüstzeiten, beispielsweise bei Formatverstellung, um bis zu 30 Prozent. Dies steigert die Effizienz der Maschine deutlich“, so Fritz Wehinger, Produktmanager bei IEF-Werner.
Auch das Thema Energieeffizienz spielt in der Montage- und Handhabungstechnik eine immer größere Rolle, und die Schmalz GmbH hat sich diesem Thema sowohl bei den Produkten wie auch in der eigenen Produktion im württembergischen Glatten besonders verschrieben. Produktseitig stattet das Unternehmen deshalb immer mehr Vakuum-Erzeuger mit der energieeffizienten Eco-Düsentechnologie aus – mit einer ganzen Reihe von Vorteilen: Die mit dieser Technologie ausgestatteten Vakuum-Erzeuger besitzen ein um 15 Prozent höheres Saugvermögen als herkömmliche Lösungen. Sie verbrauchen 15 Prozent weniger Druckluft und stellen das benötigte Vakuum rund 10 Prozent schneller bereit. Jüngstes und gleichzeitig stärkstes Ejektoren-Mitglied mit Eco-Düsentechnologie ist der Grundejektor SBPL. Er entfaltet seine Leistung effektiv und kraftvoll – punktgenau dann, wenn sie gebraucht wird. Im Arbeitsbereich zwischen –200 und –600 mbar liegt das Saugvermögen um bis zu 100 Prozent über dem des Vorgängers. Dies verkürzt die Evakuierungszeiten und beschleunigt dadurch die Zyklen.
Leichtgewicht
Höhere Leistungsdichte ist auch bei Elektrogreifern ein Thema. So hat die Afag für ihre kleinere Baureihe EG12 und EU12 die Mechanik und den elektrischen Antrieb von den größeren Elektrogreifern EG20 und EU20 übernommen und angepasst. Der neue Elektrogreifer EU12 hat damit beispielsweise einen Öffnungsweg von 2 x 3 mm und eine Greifkraft von max. 30 N. Das Greifmodul EU12 gewährleistet bei einer Greifzeit von ca. 70 ms sehr schnelle Reaktions- beziehungsweise Zykluszeiten und unterstützt wirkungsvoll die Minimierung unproduktiver Nebenzeiten. Das Gewicht des EU12-Greifers beträgt lediglich 105 Gramm.
Neben den Produktoptimierungen beschäftigt – wie alle Automatisierer – aber natürlich auch die Afag das Thema Industrie 4.0.
Markus Werro, CEO der Afag-Gruppe mit Hauptsitz in Huttwil, Schweiz: „Die heutige postmoderne Industrie-gesellschaft befindet sich in der Transition hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft – der vierten industriellen Revolution. Unternehmen im Bereich der Montage- und Handhabungstechnik werden von dieser Revolution im Kern getroffen und müssen – um zu überleben – verschiedene hoch vernetzte, sich gegenseitig beeinflussende Herausforderungen quasi zeitgleich lösen. Damit steigt die Komplexität enorm und die Unternehmen müssen sich sowohl im operativen wie im strategischen Bereich neu erfinden – das ist gut so! Denn wir, die „europäischen Automatisierter“, unterscheiden uns von unseren globalen Konkurrenten genau an diesem Punkt. Wir haben über Jahrzehnte gelernt, wie hohe Komplexitäten zu reduzieren und Aufgaben diszipliniert, effektiv und effizient abzuarbeiten sind.“ Hajo Stotz