Zwei-Komponenten-Bauteile aus Kunststoff
Mit zwei Komponenten zum Durchbruch
Bei der Entwicklung eines neuen Automobils sollte eine zweifache Durchführung für Lüftung und Kabel vom Motorraum in die Fahrgastzelle konstruiert werden. Diese sollte unter stabil, wasserundurchlässig und für einen weiten Temperaturbereich geeignet sein. Die hohen Anforderungen bei engem Bauraum erfüllte ein 2-Komponenten-Bauteil aus einem speziellen Polypropylen und einem thermoplastischen Elastomer. Ermöglicht wurde die Konstruktion unter anderem durch ausgefeilte Simulationen.
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Ein relativ großer Ausschnitt im Blech der Stirnwand zwischen Motor- und Fahrgastraum war Ausgangspunkt der Neukonstruktion eines Kunststoffbauteils, das zur Durchführung von Kabeln und Lüftungskanal im Audi Q7 dient. In der Rechtslenkerversion des Fahrzeugs müssen der Hauptkabelbaum und der Luftansaugschacht linksseitig geführt werden, weil die Motorausrichtung auch bei geänderter Lenkposition gleich bleibt. Die daraus resultierenden Platzverhältnisse erwiesen sich als ausgesprochen anspruchsvoll.
Zwei Durchführungen in einem Teil
Beide Durchbrüche auf engem Raum zu realisieren und dabei eine wirtschaftlich montierbare, stabile und dauerhaft wasserdichte Konstruktion zu realisieren, erwies sich als komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Das gilt umso mehr, da der von Audi vorgesehene Blechausschnitt so nah an den nächsten Konturen liegt, dass stabile Fixierungspunkte in Form angeschweißter Gewindeeinsätze nicht realisierbar waren.
Aus diesem Grund muss der Rahmen partiell hohe Steifigkeiten aufweisen: Deformationen aus den von der angespritzten TPS-Dichtlippe erzeugten Kräften müssen in sehr engen Toleranzgrenzen bleiben. Dazu kamen die Automobil-typischen Forderungen wie die Beherrschung des Einsatztemperaturbereichs von -40 bis 80 °C sowie die Beständigkeit gegen Öl-Nebel und eine geringe Wasseraufnahme. „In ähnlichen Konstruktionen wurden in der Vergangenheit – und werden bis heute – Baugruppen aus mehreren am Fahrzeug zu montierenden Teilen eingesetzt“, erklärt Armin Leipold, Produktentwickler und Projektmanager beim Zulieferer ETG. „Genau das wollte Audi an dieser Stelle nicht mehr. Die Idee, die beiden Durchführungen in einem montagefreundlichen Teil zu realisieren, war innerhalb der Entwicklung für Audi neu.“
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Bereits in der ersten Betrachtung stellte sich die Forderung nach „gesicherter Dichtheit“ zwischen dem Innen- und Motorraum bei der Luftkanal- und Kabeldurchführung als hohe Hürde für die Konstruktion heraus. Getestet wurde an der Durchführung in eingebautem Zustand einerseits in einem Spritzwasser-Simulator bei 30° Fahrzeugneigung und andererseits statisch unter einer 200 mm hohen Wassersäule über 24 Stunden unter verschiedenen Temperaturen. Die Schnittstellen Stirnwand, Luftansaugung und Kabeldurchgang unterliegen außerdem verschiedenen statischen und dynamischen Belastungen aus dem Fahrbetrieb,
Mit PP zum 2-Komponenten-Bauteil
„Fast reflexartig tendieren vermutlich die meisten Konstrukteure in diesem Umfeld und bei solchen mechanischen Anforderungen zum Einsatz einer hochverstärkten Polyamid-Type“, sagt Armin Leipold. „Trotzdem hatte sich der Entwicklungsleiter Matthias Dietz von ETG mit den Möglichkeiten einer leistungsfähigen Polypropylen-Alternative (PP) beschäftigt. Zum einen sei PP kostengünstiger, vor allem aber die Verbindung mit einem
thermoplastischen Elastomer(TPE) in Form eines 2-Komponenten-Bauteils aufgrund der guten Haftung zu PP deutlich einfacher zu realisieren und die zur Verfügung stehende TPE-Auswahl erheblich größer.
Um die im Lastenheft formulierten Anforderungen zu erfüllen, kam – wenn überhaupt – nur ein Hochleistungscompound in Frage. Um zu prüfen, ob eine vom Werkstofflieferanten Albis Plastic entwickelte Type der PP-Produktreihe Altech NXT in Frage kommen könnte, wurde das Unternehmen bereits während der Konzeptphase ins Boot genommen. Die Compoundlösung auf Polypropylen-Basis ist besonders hinsichtlich der Faktoren Leistung, Preis, Verfügbarkeit und Gewicht eine interessante Alternative zu Polyamid-basierten Lösungen. Altech NXT PP ist vielseitig einsetzbar und kommt darüber hinaus nicht zuletzt aufgrund seiner guten thermo-mechanischen Eigenschaften bei vergleichsweise geringeren Kosten in Automobilanwendungen zum Einsatz.
Nachdem eine erste Einschätzung des zur Verfügung stehenden Bauraums, der möglichen Wanddicken und weiterer Anforderungen des Pflichtenheftes wie Temperatur- und Ölbeständigkeit den Einsatz des Polypropylens möglich erscheinen ließ, starteten detaillierte Untersuchungen und Simulationen. Die
Erfahrungen von Albis hinsichtlich optimaler Verarbeitungsparameter der PP-Compounds aus einer Vielzahl von Kundenprojekten und die Konstruktionsideen von ETG führten zu einem Werkstoff- und einem Konstruktionsvorschlag, den Albis sowohl in Strukturberechnungen als auch in der Spritzgießsimulation optimierte. Zum Einsatz kamen dabei unter anderem die Softwaretools Ansys für Festigkeits- und Strukturbewertungen des Bauteils und Moldex3D zur 2K-Spritzgießsimulation. Das daraus entwickelte Werkzeugkonzept setzte ein Formenbauer um. Bis zur Serienreife wurden lediglich zwei Optimierungsschleifen gefahren, die die in kritischen Formbereichen vorgesehenen Nachsetzmöglichkeiten nutzten.
Verarbeitet wird die Werkstoffvariante Altech NXT PP-H A 2035/450. Hinter der Typen-Bezeichnung verbirgt sich ein hoch wärmebeständiges PP mit 35 Prozent chemisch gekoppelter Glasfasern und hohem Steifigkeits- und Zähigkeitsniveau. Bereits im ersten Durchgang – mit der ersten Bauteilvariante – wurden alle Testreihen beim OEM erfolgreich absolviert. Einige Optimierungen im Nachgang waren ausschließlich der leicht veränderten Einbausituation geschuldet. Der Produktionsstart war nur knapp eineinhalb Jahren nach der ersten Produktidee.
Ohne Prototypen in die Serie
„Schlussendlich hat sich gezeigt, dass sich mit dem Werkstoff- und Verarbeitungswissen von Albis als Basis der realistischen Simulationen und Optimierungen auch ohne Hilfswerkzeuge und Prototypenbau sehr gute Ergebnisse erzielen lassen“, resümiert Armin Leipold. Trotz der durchaus komplexen Geometrie, die auf den geringen Einbauraum, ungünstige Befestigungsmöglichkeiten sowie hohe mechanische Anforderungen zurückzuführen seien, wurde der Einsatz eines Polypropylens statt eines Hochleistungs-PA ermöglicht. Das biete nicht nur gewisse Kostenvorteile, sondern in diesem Fall – auch aufgrund der guten Haftung zu TPEs – die technisch bessere Lösung. am