Handhabungstechnik
Der richtige Dreh
In einem umgebauten Kuhstall des Großonkels fing alles an. „Die Tröge für die Kühe ließ mein Vater zubetonieren, dann kamen die Maschinen rein. Wir haben im Haus nebenan gewohnt, die Wohnräume im ersten Stock, die Büroräume unten. Das war damals alles sehr familiär“, erzählt Uwe Weiß, geschäftsführender Gesellschafter der Firma Weiß aus Buchen im Odenwald. 1967 gründete Dieter Weiß, der Vater von Uwe, das Maschinenbauunternehmen in Neckarweihingen, damals mit ausrangierten Maschinen vom „Daimler“, wie er sagt. Großvater Weiß war bereits bekennender Tüftler und arbeitete als leitender Konstrukteur bei dem Automobilbauer in Stuttgart. Heute ist das Unternehmen ein etablierter Hersteller von Rundschalttischen und Linearsystemen mit voraussichtlich 22 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2006.
Zu Beginn der Firmengeschichte lief nicht alles so rund - im direkten Wortsinn. Der erste Rundschalttisch ging kaputt, während Vater Dieter noch auf dem Rückweg vom Kunden in den Niederlanden war. Er kehrt um, richtet den Schaden und ist insgesamt mehr als 36 Stunden am Stück auf der Autobahn unterwegs. Total übermüdet sei er darüber so sauer geworden, dass er sich schwor nur noch Rundschalttische zu bauen, die unverwüstlich sind. Diese unangenehme Erfahrung nutzt Weiß als Grundstein für seine Produktpolitik: Schalttische, die nicht kaputtgehen. Weiß senior verabschiedet sich von sämtlichen vorhandenen Bauweisen und althergebrachten Lösungswegen. Mit der T-Baureihe – der Name soll an Henry Fords T-Modell erinnern – legte Dieter Weiß den Grundstein für eine neue Produktgeneration: Er entwickelte den ersten Rundschalttisch mit elektromechanischem Antrieb. „Aus dieser Zeit stammt auch unsere Firmenphilosophie, niemals ein „me-too“-Produkt anzubieten, sondern ungeachtet aller bisherigen Produkte sämtliche Anforderungen des Kunden mit einer ganz eigenen Lösung zu bedienen“, erklärt Uwe Weiß. Fünf Patente hat das Unternehmen im Laufe seiner Firmengeschichte angemeldet. „Der Rundschalttisch ist das Herzstück einer Maschine, wenn das kaputt geht, ist das für den Kunden eine mittlere Katastrophe“, erläutert Uwe Weiß. „Einbauen – und vergessen“ lautet der Anspruch von Weiß junior an sein Sortiment.
Cash Cow Kraftei
Die Firma Weiß steht damit den Gründergeschichten heutiger Unternehmen, auch gerne Start-Ups genannt, in nichts nach. Nur gab es statt Garage, Silikon Valley und Venture Capital eben frische Landluft, das Neckartal – und das Kraftei. Was nach einer stärkenden Boullion auf Hühnerbrühenbasis klingt, war eine technische Erfindung von Dieter Weiß, die weder mit nahrhafter Kost noch mit Rundschaltischen zu tun hatte. Der pneumatisch-mechanische Hubzylinder diente als Bestandteil von Pressen und wurde 30 Jahre in Lizenz von einem anderen Unternehmen gebaut. Es ist durch eine hohe Leistung und sehr einfache Herstellung gekennzeichnet. Mit den Lizenzerlösen finanzierte die Weiß KG ihre ersten Investitionen.
Bis 1981 blieb Neckarweihingen der Firmenstandort, dann musste ein größeres Grundstück her. Die Entscheidung fiel für die kleine Stadt Buchen im Odenwald. „Es hätte auch das damalige Zonenrandgebiet oder der Bayerische Wald werden können, Buchen war für die Familie ein guter Kompromiss“, erinnert sich Weiß. Nicht nur für die eigene Familie, sondern auch für die Familien der Mitarbeiter. Immerhin zogen zehn der zwanzig Mitarbeiter mit, von denen einige noch heute bei Weiß arbeiten. Der damalige Buchener Bürgermeister und die lokal ansässigen Banken förderten die Ansiedlung der Industrie in Buchen. So hat die Stadt angesichts ihrer 12.000 Einwohner eine vergleichsweise große Gewerbeansiedlung. Auch die Firma Braun sitzt in Buchen. Das mittlerweile zum Gillette-Konzern gehörende Unternehmen stellt dort Rasierer her und bestellt übrigens bei Weiß seine Rundschalttische direkt.
Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten im Unternehmen arbeiten, ferner der Wille, nach eigenen Lösungen zu suchen und den dafür notwendigen langen Atem mitzubringen – kombiniert mit einem konservativen Umgang mit Finanzen und Investitionen – gehören wohl zu den Erfolgsfaktoren, die Weiß dahin brachten, wo das Unternehmen heute steht. Uwe Weiß stieg 1998 mit gerade Mal 26 Jahren als Geschäftsführer ins väterliche Unternehmen ein. Für den damals frisch diplomierten Maschinenbau-Ingenieur war das ein Sprung ins kalte Wasser, wie er heute zugibt. „Das ist nicht so wie in einem Konzern, wo Sie die Schublade aufziehen und ein Organigramm mit klarer Aufgabenverteilung vorfinden“, erinnert sich Weiß. Zunächst durchläuft er sämtliche Abteilungen, allein sechs Monate verbrachte er damit, Artikelnummern anzulegen. Inzwischen hält der 34-Jährige die Fäden in der Hand. Die Führung des vormals stark auf den Vater fokussierten Unternehmens will er nun breiter aufstellen. „Wir wollen wachsen, da kann es nicht mehr sein, dass alle Entscheidungen zentral getroffen werden“, erklärt Weiß. Damit vollzieht die Firma den Wandel vom klassischen Mittelständler mit Chef, der alle Entscheidungen selbst trifft, zu einem Unternehmen mit dezentraler Führungsstruktur.
Kundenorientierung
Eine Krise hat Uwe Weiß bereits selbst als Chef miterlebt. Bis 2001 verhalf die CD-Branche dem Unternehmen zu wahren Höhenflügen, denn die silbernen Scheiben wurden mit Hubeinheiten von Weiß hergestellt. Bis zu 30 Prozent des Umsatzes stammten von Maschinen, die Rohlinge herstellten. 2002 brach die Nachfrage nach CDs ein, zusammen mit dem Einbruch der für Weiß ebenfalls wichtigen Handy-Sparte und einem wirtschaftlichem Abschwung. „Es war ein Riesenkraftakt, da wieder rauszukommen. Damals hat sich unser Grundsatz bewährt, dass ein Kunde, der 1.000 Euro im Jahr bringt, genau so wichtig ist wie ein Kunde, der im Jahr eine Million Euro Umsatz macht“, sagt Weiß. „Das Bett von vielen Tausend Kleinkunden“, wie Weiß es beschreibt, habe das Unternehmen damals gerettet. 2006 übertraf das Buchener Unternehmen den Umsatz von damals – ohne die CD-Branche. Das verdankt Weiß vor allem seinen neuen Produktgenerationen, mit denen er nach eigenem Bekunden den Bedürfnissen seiner Kunden nach Schnelligkeit und Flexibilität noch mehr entgegen kommt. „Bis vor kurzem galt die eherne Branchenweisheit, dass ein Produktionsautomat entweder schnell oder wiederverwendbar und flexibel ist. Unsere neuen Produkte belegen das Gegenteil.“ Damit spielt der junge Chef vor allem auf seine Torque-Rundtischreihe, HP-Einlegegeräte und LS-Transfersysteme an. Komponenten, die übrigens auch der holländische Kunde Phillips bei der Produktion von Autolampenfassungen einsetzt.
Kaum zu glauben: Das Unternehmen kam so weit ohne eigene Vertriebsschiene. Bislang meldeten sich die Kunden entweder von selbst oder bestellten indirekt über selbstständige Vertreter, so zum Beispiel auch in der Schweiz. „Ein gutes Produkt muss sich selbst verkaufen“, lautete der Grundsatz des Vaters. Doch Uwe Weiß hat erkannt, dass dies allein nicht mehr reicht. „Wir haben ein Kommunikationsproblem“, bestätigt Weiß. Häufig kennen selbst langjährige Kunden weder die neuen Produkte noch den Namen Weiß. Daher richtet der Unternehmer von 2007 an einen eigenen Verkaufsaußendienst mit fünf Mitarbeitern ein. Insgesamt will er in diesem Jahr 20 bis 30 neue Mitarbeiter/innen einstellen, vor allem im Vertrieb und im Backoffice. Zudem hat er zwei Busse mit dem Weißschen Linearsystemen bestückt und so zu Vorführbussen umfunktioniert, die quer durch Europa im Einsatz sind. So können nicht nur Einkäufer, sondern auch die Mitarbeiter, die später mit den Maschinen arbeiten, testen, wie das Produkt funktioniert. „Der Konkurrenzkampf ist härter geworden. Jeder nimmt, was er kriegen kann“, meint Weiß. Insbesondere die Tatsache, dass gute Konstruktionen schnell von Mitbewerbern kopiert werden, macht das Bestehen am Markt nicht einfacher. Weiß: „Früher galt so etwas wie ein Ehrenkodex, dass ein Wettbewerber die Konstruktionen des anderen nicht kopiert. Das gilt heute nicht mehr.“ Geraldine Friedrich