MAG-Engspaltschweißen

Tauchgang mit Spareffekt

Wenn es um Gasturbinen für Kraftwerke geht, gehört Siemens zu den führenden Herstellern auf unserem Globus. Um die stark steigende Nachfrage weiter bedienen zu können und gleichzeitig das Arbeitsumfeld der Mitarbeiter zu verbessern, setzt das Unternehmen bei der Bearbeitung der mächtigen Turbinen- gehäuse erstmals das Engspaltschweißen per Roboter ein, das in Zusammenarbeit mit dem Schweißspezialisten Cloos zur Serienreife gebracht wurde.

Produktives Eintauchen beim Gehäuseschweißen: Ein Roboter führt das Engspaltschwert in den Spalt zwischen Gehäusemantel und Mannloch-Stutzen. (Bild: Cloos/Holler)

Die Energieindustrie unterliegt derzeit einem hochdynamischen Wandlungsprozess. Kohle und Kernkraft sind Auslaufmodelle; Windkraft und Solartechnik bestimmen die Zukunftspläne. Auch Gas, das sich umweltschonend verbrennen lässt, spielt eine große Rolle. Kein Wunder also, dass die Stromerzeugung mit Gasturbinen - so wie sie Siemens in Berlin fertigt - immer stärker nachgefragt wird. Insbesondere Länder mit Erdgasvorkommen entdecken die Wertschöpfung der Verstromung anstelle des Gas-Exports. Die derzeit stärkste Siemens-Gasturbine liefert 375 Megawatt. Sie ist die größte und leistungsfähigste Gasturbine der Welt. Damit lässt sich eine Großstadt wie Hamburg komplett mit Strom versorgen. Siemens gehört in dieser Branche zu den führenden Unternehmen weltweit: Seit 1972 haben über 800 Gasturbinen das Werk in Berlin verlassen und liefern Strom in etwa 60 Ländern. Die 3500 Mitarbeiter des Standorts sind derzeit ausgelastet. "Entsprechend groß ist der Fertigungsdruck", sagt Uwe Krabetz, verantwortlicher Gruppenleiter der Gehäusefertigung. Räumlich expandieren kann das Unternehmen an seinem Traditionsstandort mit historischem Hallen-Ensemble mitten in Berlin kaum. "Also geht es nur mit dem Einsatz moderner Fertigungstechnik, um die Produktion weiter zu optimieren, die Qualität zu erhöhen und den Ausstoß zu steigern." Bei den Gehäuseteilen einer Gasturbine - sie haben bis 4,60 Meter Durchmesser und werden aus bis zu 100 mm dickem, warmfesten Baustahl (16 MO3) gefertigt - hatten die Verantwortlichen längst die Schweißtechnik im Fokus. Hier arbeitet Siemens seit Jahren mit einer Cloos-Roboteranlage, auf der zum Beispiel das 30 Tonnen-Endstück der Turbine geschweißt wird. Die etwa 140 Meter Kehl- und V-Nähte werden darauf in 30 Prozent weniger Schweißzeit realisiert. Und auch die Nacharbeit sank um über 10 Prozent.

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150 Kilo Draht pro Naht

Weiteres Rationalisierungspotenzial entdeckten die Experten beim Verschweißen der riesigen Flansche und Mannlöcher: "Wir brauchten für diese Verbindungsnähte im MAG-Handschweißverfahren bis zu vier Acht-Stunden-Schichten. Dabei schluckte jede Naht aufgrund der 50-Grad-V-Geometrie etwa 150 kg Schweißdraht", erinnert sich Uwe Krabetz. Allein, es fehlte die Technologie, um diese zeit- und materialintensive Arbeit zu optimieren. "Daher die Idee, gemeinsam mit Cloos eine roboterbasierte Lösung zu finden", so Krabetz. Der Schweißtechnik-Spezialist entwickelte daraufhin ein Engspaltschwert - rund 30 cm lang - mit einer Breite von 16 mm, das der Roboter in den Spalt zwischen Gehäusemantel und Mannlochstutzen bzw. Flansch taucht. Statt der aufwändigen, großvolumigen V-Nähte - schließlich musste der Werker mit dem Brenner bis zur Wurzel kommen - kann Siemens mit dem neuen Verfahren eine Engspaltnaht mit parallelen Nahtflanken und einer Spaltbreite verwenden, die nur 20 mm beträgt. Zur Vorbereitung der Nahtflanken reicht die Qualität des konventionellen Brennschnitts aus. Das Engspaltschwert führt Drahtelektrode, Schutzgas und Kühlwasser. Der Schweißdraht im Schwert wird über einen Mechanismus so bewegt, dass er exakt über dem Schweißbereich hin- und herpendelt. Im MAG-Engspaltverfahren werden bei den 300 mm starken Bauteilen über 80 Lagen in gleichbleibend hoher Qualität aufgebracht. Der Roboter braucht dafür weniger als vier Stunden und bringt nur etwa 30 kg Schweißgut ein. "Gegenüber der bisherigen Handschweißung spart das über 80 Prozent Zeit und Schweißdraht", freut sich Uwe Krabetz über das Einsparpotenzial auch bei Schutzgas und Energie. Ein weiteres Plus: Die relativ niedrige Energiezufuhr minimiert den Materialverzug während des Schweißens. Um große Turbinenteile mit bis zu 4,60 m Durchmesser und zwei Meter Tiefe optimal schweißen zu können, installierte Siemens im Sommer 2011 eine neue Roboterschweißanlage. Hier werden zwei Roboter an einem 32 m langen, über acht Meter hohen Portal bewegt. Es überstreicht vier Arbeitszellen. "In zweien schweißen die Roboter, während in den anderen unsere Mitarbeiter die Bauteile vor- und nachbereiten", erklärt Krabetz. Dabei wechseln die Roboter zwischen der Engspalttechnik und dem MAG-Eindrahtprozess, mit dem die dicken Halbringe ins Turbinengehäuse geschweißt werden. "Wir können auch jeweils zwei Zellen kombinieren, um die geplanten Maxigehäuse für unsere neuen Turbinen zu bearbeiten." Denn: Siemens will künftig aus zwei Teilgehäusen eine Einheit machen, um eine Flanschstelle einzusparen und Arbeitszeit zu reduzieren. Über das Portal mit seinen Längs-, Höhen- und Querfahrwerken erreichen die Cloos-Roboter alle Schweißnähte an den bis zu 60 Tonnen schweren Gehäuseteilen. Die stabilen Roboter sind in Drehgelenkbauweise ausgeführt und haben sechs Bewegungsachsen. Dynamische Servoantriebe ermöglichen eine Tragfähigkeit von 15 kg, und präzise Kompaktgetriebe sorgen für eine hohe Wiederholgenauigkeit von unter 0,1 mm. Die Robotersteuerung steuert sechs Roboterachsen plus drei Achsen des Portals. Die Roboterschweißanlage ist mit Brennerwechselsystemen ausgerüstet, um automatisch zwischen Brennschneiden, Eindraht- und Engspaltschweißtechnik zu variieren. Überwacht und bedient wird die Anlage von einer Warte aus. Hier laufen zum Beispiel die Signale von sechs Kameras mit Bildern aus den Schweißbereichen zusammen. In diesem geschützten Raum befindet sich auch die PC-Technik für die Steuerungssoftware Carola EDI und die Roboplan-Offline-Programmierung. Ist die Anlage einmal eingerichtet, laufen die Arbeitsschritte vollautomatisch ab. In der Anlage liefern Impulsstromquellen des Typs GLC 603 Quinto die hohen Schweißströme von 320 A. Sie verfügen mit einem maximalen Strom bis 600 A über genügend Leistungsreserven für künftige Anforderungen. Ihre schnelle Regelung und eine Mikroprozessorsteuerung für die Programmierung der Kennlinien bilden die Basis dafür, die Anlage optimal auf Werkstoff und Schweißnähte einzustellen. Über ein großes LCD-Display findet der Bediener alle Informationen im Klartext. Ein praktisches Handrad sorgt für eine einfache, schnelle Eingabemöglichkeit der Parametersätze, von denen sich bis zu 20.000 hinterlegen lassen. "Das Engspaltschweißen eignet sich für die Verarbeitung von Bauteilen mit über 35 mm Blechdicke", erklärt Cloos-Niederlassungsleiter Volker Hedergott. Als Ansprechpartner vor Ort hat er das neuartige Fertigungskonzept gemeinsam mit den Experten im Stammwerk in Rekordzeit realisiert. Nur knapp ein Jahr verging zwischen Auftragserteilung, Lieferung und Inbetriebnahme der neuen Anlage." Rund 1 Million Euro hat Siemens in die neue Roboteranlage und die notwendigen Baumaßnahmen in der Fertigungshalle investiert. ms

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