Industriekommunikation
Single Pair Ethernet revolutioniert die Fabrikvernetzung
Der Standard macht den Weg frei für einen ungehinderten Fluss von Daten über alle Ebenen der Automatisierungspyramide hinweg.
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein: Datenübertragungsraten steigen und steigen – auch in der digitalen Kommunikation in Fabriken. Leitungen schaffen heute Datenraten bis 10 Gbit/s und künftig noch mehr. Doch nicht immer ist höchstes Tempo das Entscheidende. In der Feldebene werden vermehrt platzsparende und einfach zu verarbeitende Leitungen nachgefragt, die zudem einen standardisierten Datenaustausch mit den oberen Ebenen der Automatisierungspyramide erlauben. Hier kommt Single Pair Ethernet (SPE) ins Spiel, das sich zu Recht zu einem Hype-Thema gemausert hat. Denn SPE ist eine wichtige Zukunftstechnologie für die Digitalisierung im Produktionsumfeld.
Immer mehr Kapazität gefordert
Früher wurde Kommunikation in der Industrie durch Feldbusse realisiert, etwa durch den Profibus, der nur 12 Mbit pro Sekunde übertragen kann und der für heutige Anforderungen viel zu langsam ist. Um die Jahrtausendwende wurde Industrial Ethernet eingeführt. Die Anwender mussten von zwei auf vier Adern gehen, was den Anschlussaufwand verdoppelt hat, außerdem wurden die Kabel komplexer, teurer, brauchten mehr Platz und der Aufwand ist gestiegen. Cat.6 und Cat.7 brachten die Gigabit-Datenübertragung in die Produktion, aber auch einen nochmal höheren Anschlussaufwand, weil jetzt vier Paare beziehungsweise acht Adern in einer Leitung sind.
Mit Single Pair Ethernet besinnt man sich wieder auf das, was wirklich notwendig ist. SPE-Leitungen haben nur noch ein verdrilltes Aderpaar anstatt vier. Dennoch ist SPE annähernd so schnell wie Multi Pair Ethernet, es erlaubt aber viel größere Distanzen, ist kompakter und erfordert weniger Aufwand bei der Installation. SPE macht die Feldebene smart und sorgt für eine durchgängige verlässliche Vernetzung über die ganze Automatisierungspyramide hinweg.
Hersteller ziehen an einem Strang
Einen Wildwuchs wie bei den Feldbussen wollen die Hersteller diesmal unbedingt vermeiden. Das SPE Industrial Partner Network hat sich deshalb die Standardisierung vorgenommen. Dort haben sich zahlreiche Kabel- und Steckerhersteller zusammengetan, um die Technologie voranzutreiben. Die Mitglieder des Konsortiums sehen SPE als den kommenden Standard auf der Sensor-Aktor-Ebene und als Basisinfrastruktur für intelligente Sensoren und Aktoren und die smarte Fabrik.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind riesig: So eignet sich SPE in öffentlichen Verkehrsmitteln zum Vernetzen von Informationssystemen etwa der Anzeigen der Haltestellen oder Sitzplatzreservierungen, für Kameras zu Überwachungszwecken oder zur Fahrgastzählung sowie für das Infotainment und WLAN. In batterieelektrischen Fahrzeugen bietet SPE einen kompakteren Aufbau mit geringeren Biegeradien und damit mehr Flexibilität beim Engineering. Außerdem spart SPE Gewicht: Eine Leitung mit vier Aderpaaren wiegt etwa 4,6 kg auf 100 m, bei SPE sind es nur 3,0 kg. In der Gebäudeautomatisierung kann SPE Sensoren vernetzen, etwa von Brandmeldeanlagen oder Helligkeits- oder Temperaturfühlern, außerdem Systeme zur Zutrittskontrolle, Informationstafeln etwa zur Raumbelegung und vieles mehr.
Entfernungen bis 1.000 Meter
In großen Anlagen wie in der Chemieindustrie überbrückt SPE große Entfernungen. Für Distanzen bis zu 1.000 Metern wurden unter dem Begriff APL (Advanced Physical Layer) basierend auf 10Base-T1L gemäß IEEE 802.3cg für SPE zusätzliche Eigenschaften für die Prozessindustrie definiert. So ist in APL unter anderem die Eigensicherheit berücksichtigt, die den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen erlaubt.
Einer der Pioniere ist Lapp, das früh mit der Entwicklung industrietauglicher SPE-Leitungen begonnen hat und bereits erste Produkte anbietet. Der Spezialist für integrierte elektrische Verbindungssysteme treibt auch die Normung voran, zusammen mit anderen Herstellern von Verbindungstechnologien. SPE ist bereits international genormt, damit ist die Basis für eine weltweite Verbreitung gelegt. Für die Industriesteckverbinder wurden mehrere Vorschläge in die Norm IEC 63171 eingebracht. Lapp favorisiert das Steckgesicht nach IEC 63171-6 und beteiligt sich aktiv an der Verbreitung dieses Standards durch Mitarbeit im SPE Industrial Partner Network. Das Unternehmen trägt damit zu einer schnellen Entscheidung des Marktes bei. Damit die Anwender schon jetzt ein SPE-Netzwerk planen und prüfen können, benötigen sie Planungs- und Installations-Guidelines für die jeweiligen Einsatzzwecke. Diese Richtlinien erarbeiten bei den Industrial Ethernet Systemen die Nutzerorganisationen wie PI für Profinet oder ODVA für Ethernet/IP. Dort arbeitet Lapp bereits mit den anderen Mitgliedsunternehmen in den Arbeitsgruppen daran.
Zügige Einführung lohnt sich
Betriebe tun gut daran, sich so bald wie möglich mit SPE zu befassen, Anwendungsfelder zu identifizieren und diese Anforderungen mit Herstellern wie Lapp zu diskutieren. Jetzt werden Systementscheidungen getroffen und die Hersteller benötigen die Kundenanforderungen zur Systemauslegung. Parallel dazu sollten Anwender jetzt ihr Technologiewissen zu SPE aufbauen. Hersteller und das Industrial Partner Network bieten bereits umfangreiches Informationsmaterial wie Webinare oder eLearnings an. Betriebe sollten von Anfang an über neue Netzwerkstrukturen nachdenken: Trunk-Fähigkeit, Power over Dataline oder höhere Leitungslängen sind nur einige Möglichkeiten. Wer sie kennt und diese in seine Anwendung überträgt, kann maximal davon profitieren.
Andererseits muss nicht jede Installation einpaarig ausgeführt werden, nur weil es möglich ist. Man sollte immer das gesamte Ethernet-Netzwerk in der Fertigung im Blick haben. In vielen Fällen ergibt eine 4-paarige Ethernet-Installation weiterhin Sinn, um keine Flaschenhälse einzubauen, nur um etwas Kupfer zu sparen. Anwender sollten daran denken, dass bei einer künftigen Anlagenerweiterung Standard-Ethernet-Geräte noch anschließbar sein müssen.